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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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gefiel mir ihr Blick, er gab mir das Gefühl wichtig zu sein und wert, genauer unter die Lupe genommen zu werden.
    Sie wandte sich unvermittelt zur Tür und ich reichte ihr schnell den Eimer. Unsere Hände berührten sich. Nur einen kurzen Moment. Sie nickte mir zu und ihre Augen lächelten, auch wenn ihre Lippen weiterhin geschlossen blieben. Sie ging ins Haus und ließ mich einfach stehen. Ich starrte auf die Tür. Erst die Stimme meiner Schwester ließ mich herumfahren, als wäre ich aus einem Tagtraum geschreckt.
    „Hey, Cat!“ Lizzie stakste fluchend durch den Matsch. „Wer war das denn?“
    Ich zuckte nur mit den Schultern, ich wollte nicht mit Lizzie über die Fremde reden.
    „Ich habe den Blonden getroffen“, sagte ich. „Er macht mir Angst.“
    „So?“ Lizzie sah sich auf dem Hof um. „Und was wollte er?“
    „Ach nichts … Er muss einem Fohlen auf die Welt helfen.“
    „Echt? Das ist ja toll, da würde ich gerne zusehen. Wo sind denn die Ställe?“
    Ich kniff die Augen zusammen und bedachte Lizzie mit einem scharfen Blick.
    „Was ist denn?“, fragte sie gereizt. „Ich interessiere mich eben für Tiere.“
    „Hm“, antwortete ich. „Sicher.“
    „Glaub ja nicht, dass es wegen dieses ungehobelten Bauern ist.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Also, wo sind die Ställe?“
    „Na komm schon.“ Ich hakte meine Schwester unter. „Ich will deiner neu gewonnenen Naturverbundenheit nicht im Wege stehen.“
    Lizzie grinste. „Ich bin eben vielseitig interessiert.“
    Bevor wir in die kleine Gasse gingen, wandte ich mich noch einmal um und nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Eine kleine Gestalt huschte hinter die Gaststätte. Ich konnte nur noch den Zipfel eines schwarzen Mantels erkennen. Ein Kind? Nein, ein Kind würde sicher keinen schwarzen Mantel tragen. Aber ein Kleinwüchsiger.
    „Hallo! Erde an Catrin!“ Lizzie zupfte an meinem Ärmel. „Willst du hier Wurzeln schlagen?“
    „Ich habe keine Schuhe an“, sagte ich und deutete auf meine nackten, schmutzigen Füße. „Geh du schon vor, ich komme gleich nach, okay?“
    Mit einem Schnaufen stapfte Lizzie davon. „Schwestern!“, hörte ich sie murmeln, bevor sie durch das offene Tor eines großen Holzbaus schlüpfte, bei dem es sich um den Stall handeln musste.
    Einen Moment lang blieb ich unschlüssig stehen. Dann schlich ich um die Ecke, hinter der die kleine Gestalt verschwunden war. Meine Schuhe vergaß ich vor der Eingangstür.
    Ich sah mich um. Niemand zu sehen. Nicht einmal ein Geräusch war zu hören. Wenige Meter hinter dem Gebäude begann der Wald. Uralte Fichten standen dicht an dicht und warfen ihren Schatten auf den Boden. Ihre Nadeln verströmten einen satten Duft. Ich schob einige Äste zur Seite und trat ins Zwielicht, das den Wald beherrscht. Der Boden hier war moosbedeckt. Kleine Äste stachen in meine Fußsohlen. Der untere Teil der Baumstämme war frei von Zweigen, so dass ich in den Wald hineinsehen konnte. Ich folgte einem Trampelpfad, der zu einem Hügel führte. Nebel bedeckte den Boden. Je weiter ich mich vom Dorf entfernte, desto dichter wurde er. Er verschluckte die Geräusche meiner Schritte. Meine Füße waren eiskalt und ich nieste. Es war auch zu dumm von mir, barfuß durch den Wald zu stiefeln wie ein Kind. Ich beschloss zurückzugehen.
    In meinem Nacken begann es zu kribbeln. Ein Rascheln. Ich sah mich um.
    „Rokan?“, flüsterte ich. „Bist du das?“
    Keine Antwort. Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren. Ich trat einen Schritt zurück und stolperte über eine Wurzel. Das Moos dämpfte meinen Sturz, doch ich schlug mir den Hinterkopf an einem entwurzelten Baum an.
    „Verdammt!“ Ich rieb über die schmerzende Stelle und betrachtete meine Handfläche. Zumindest blutete ich nicht, aber das würde eine schöne Beule geben.
    Ein heiseres Lachen rauschte durch die Äste. Ich konnte das Geräusch nicht orten. Erst war es hinter mir, dann neben mir, und schließlich schien es direkt aus der Krone der Fichte zu kommen, unter der ich immer noch lag. Ich atmete tief durch. Dreh jetzt nicht durch, sagte ich mir, es gibt keine Baumgeister, das ist nur der Wind. Und wie zur Bestätigung fuhr ein Windstoß durch meine Haare. Ich rappelte mich auf und lief zurück in Richtung Dorf. Als ich den Waldrand fast erreicht hatte, wandte ich mich noch einmal um. Ein Flattern ließ mich instinktiv den Kopf einziehen. Ein riesiger Rabe landete auf dem Waldboden und starrte mich aus Augen an, die
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