Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zehn Milliarden (German Edition)

Zehn Milliarden (German Edition)

Titel: Zehn Milliarden (German Edition)
Autoren: H. J. Anderegg
Vom Netzwerk:
KAPITEL 1
     
Marina del Rey
     
    M ürrisch glotzte Nick ins kalte Auge des Tumblers. Seine Wäsche war längst trocken, doch immer noch saß er wie gelähmt im unbequemen Drahtsessel vor dem Automaten. Die leere Flasche Diet Pepsi schien seine Trübsal zu teilen. Er nahm kaum wahr, was um ihn herum im kleinen Waschsalon vor sich ging, denn ein einziger Gedanke kreiste hartnäckig in seinem Schädel: warum kommt sie heute nicht ? Es war Mittwochnachmittag, und seit vier Wochen war die kaffeebraune Schöne regelmäßig aufgetaucht, wenn er seine bescheidene Kollektion von T-Shirts, Jeans und farbigen Socken in die Maschine stopfte. Sein Blick wanderte über die stramm in Reih und Glied wartenden Waschmaschinen mit ihren orangen Bäuchen, über die scheußlich grünstichigen falschen Marmorplatten der Wände, und nicht zum ersten Mal zur Fensterfront auf die Beach Avenue.
    Keine Spur der Frau, die ihm allmählich den Schlaf raubte, obwohl, oder eher weil er noch nie mit ihr gesprochen hatte. Er war trotz seiner jungen Jahre ein bestandener Akademiker am UCLA, ein angesehener Spezialist auf seinem Gebiet, aber er hatte es in den vergangenen vier Wochen nicht geschafft, diese Frau anzusprechen. Jedes Mal, wenn sie freundlich lächelnd an ihm vorbei schwebte, schien sich das sonst gut ausgebildete Sprachzentrum seines Großhirns sofort abzuschalten.
    Langsam erwachte er aus seiner Starre und bemerkte, dass er allein war in der Laundrette. Enttäuscht begann er seine wenigen Sachen in den zerknautschten Rucksack zu packen. In Gedanken versunken verließ er das Gebäude und trat auf den siedend heißen, sonnigen Vorplatz, als es geschah. Die schöne Unbekannte, die Frau seiner Träume, tauchte plötzlich aus dem Schatten auf, rannte strahlend auf ihn zu, warf sich ihm an den Hals und küsste ihn stürmisch auf die Lippen.
    »Spielen Sie mit, bitte«, flüsterte sie ihm eindringlich ins Ohr. Er war so verblüfft, dass er reflexartig gehorchte und seine Arme um ihren zarten Körper schlang. »Ich werde verfolgt - der Mann im gestreiften Hemd. Bringen Sie mich hier weg, bitte«. Er schaute sich um und sah eben noch, wie ein untersetzter Mann mit gelb-schwarz gestreiftem Hemd, auffallend großer Sonnenbrille und sehr kurzem Haar sie beobachtete, sich rasch umdrehte und um die Ecke des Waschsalons verschwand.
    »Die Wespe?«, fragte er heiser. Sie nickte.
    »Ist er weg?«
    »Ja.«
    Sie schaute sich vorsichtig um, löste sich langsam aus der Umarmung und blickte ihn verlegen an. »Entschuldigen Sie meinen Überfall. Ich war in Panik. Der Kerl beobachtet mich, taucht plötzlich auf, folgt mir und verschwindet wieder.« Ängstlich drehte sie sich um, als fühlte sie seine Augen im Nacken.
    »Kommen Sie, wir verschwinden hier besser«, sagte Nick, als er wieder einigermaßen klar denken konnte. Etwas verlegen fügte er hinzu: »Ich fürchte, wir müssen zu Fuß gehen. Ich wohne nur ein paar Blocks weiter und bin ohne Auto hier.« Sie lächelte und hakte sich wie selbstverständlich bei ihm unter. Die erneute Berührung, der unaufdringliche, vornehme Duft, die beinahe unerträgliche Nähe dieses ebenmäßigen Gesichts mit den großen, dunklen Augen, umrahmt von kaum gebändigtem schwarzem Kraushaar, versetzten ihn in eine Art Trance. Erst ein paar Schritte weiter wurde ihm klar, dass sie hier nur ihre Rollen spielten. Ein Täuschungsmanöver, nichts weiter.
    »Ich bin übrigens Julie, Julie Picard«, sagte sie unvermittelt, nachdem sie sich einmal mehr versichert hatte, dass ihnen keine Wespe folgte.
    »Enchanté Madame, ich bin Nick Sears, Retter in der Not«, antwortete er, verblüfft über seine eigene Schlagfertigkeit. Sie lachte erleichtert und fragte erstaunt:
    »Sie sprechen französisch?«
    »Ja, eine Sprache meiner Jugend«, grinste er. »Ihrem Namen nach haben Sie auch französische Wurzeln.« Sie nickte und entgegnete kokett:
    »Raten Sie!« Nick warf ihr einen scheuen Blick zu, gab vor, nachzudenken, obwohl seine Meinung schon seit der ersten Begegnung im Waschsalon gemacht war.
    »Karibik.« Erstaunt blieb sie stehen und schaute ihm tief in die Augen.
    »Stimmt genau. Wie kommen Sie darauf?«
    »Das war keine Kunst. Ich kenne Guadeloupe und Martinique ein wenig, und die Frauen dort haben einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht.« Wieder lachte sie strahlend.
    »Wie man sieht: reisen bildet«, sagte sie schließlich. »Meine Mutter stammt aus Case-Pilote an der Westküste von Martinique.« Sie waren inzwischen in der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher