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Cop

Cop

Titel: Cop
Autoren: R Jahn
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…«
    Der zweite Schuss schlägt gut zwanzig Zentimeter neben Ron ein. Splitter spritzen ihm ins Gesicht, er stürzt nach hinten, flucht, blinzelt. Tränen fließen über seine Wangen, mischen sich mit Blut von einem Dutzend winziger Schnittwunden.
    Henry schaut runter auf die Straße. Eigentlich ist die Sache klar. Hunt hockt immer noch hinter seinem mittlerweile ziemlich durchlöcherten Wagen. Also haben sie es mit Peña zu tun, der offensichtlich im Jackrabbit Inn Position bezogen hat, dem einzigen Gebäude, das den Schulkomplex überragt. Und trotzdem kann er ihn nirgends entdecken. Auf dem Dach ist er nicht. Im dritten Stock stehen mehrere Fenster offen, lauter dunkle Löcher, in denen nichts zu sehen ist. Kein Wunder, denn die Sonne geht direkt hinter dem Hotel unter – Henry und sein Bruder sind für jeden bestens zu erkennen, während die Ostseite des Jackrabbit Inn, die ihnen zugewandte Seite, im Schatten liegt.
    »Wir müssen hier runter«, sagt er. »Komm schon, wir müssen …«
    Ron kniet auf dem Dach und reibt sich die Augen, als der dritte Schuss abgefeuert wird. Auf seiner linken Hand erscheint ein roter Punkt. Er nimmt die Hand vom Gesicht und betrachtet die Handfläche.
    Doch die Kugel hat die Hand durchschlagen, und auf seinem linken Wangenknochen leuchtet ein zweiter roter Punkt. Die linke Augenhöhle füllt sich mit Blut. Ein rotes Rinnsal fließt aus dem rechten Nasenloch, zeichnet ihm einen blutigen Schnurrbart auf die Oberlippe und tropft auf den Boden.
    »Ron?«
    Ron schaut von seiner Hand zu Henry. »Was … was ist mit meiner … Hand?« Er dreht die Handfläche um, damit Henry einen Blick darauf werfen kann, blinzelt ein paarmal – und kippt zur Seite.
    »Ron!«
    Henry springt auf und blickt sich panisch um. Scheiße, was ist hier los? Das hat er sich ganz anders vorgestellt. Kurz und schmerzlos sollte es sein: ein paar Schüsse und Schluss. Er starrt auf das Jackrabbit Inn. Wieder sieht er nichts als dunkle Fenster. Schnell dreht er sich um und rennt zur Dachluke. Im selben Moment donnert der vierte Schuss. Er rattert die Leiter hinunter ins Hausmeisterbüro und kracht mit dem Rücken gegen ein Regal mit Putzmitteln.
    Was, verdammte Scheiße, ist hier los?
    Verzweifelt versucht er zu begreifen, was sich gerade vor seinen Augen abgespielt hat, doch sein Gehirn weigert sich, wehrt sich dagegen. Nein, sein großer Bruder ist nicht tot. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.
    Doch. Ron ist tot.
    Erst sein kleiner Bruder, jetzt sein großer Bruder.
    Dafür wird Hunt bezahlen, allein dafür muss er sterben. Donald hätte ihn niemals verraten. Also hat Hunt ihn …
    Henry schließt die Augen. Reiß dich zusammen.
    Bring es zu Ende.
    Er öffnet die Augen wieder, verlässt das Hausmeisterbüro und läuft die breite Treppe hinunter ins Erdgeschoss, dann weiter den Flur entlang. Vor ihm liegt das Klassenzimmer, in dem Beatrice und Sarah warten. Die beiden werden sich noch ein wenig gedulden müssen.
    Plötzlich öffnet sich die Tür des Klassenzimmers, und Sarah tritt auf den Gang, die Pistole in der rechten Hand. Die Handschellen baumeln von ihrem Arm und klimpern gegen den Lauf.
    Sie hat ihn schon entdeckt. Kurz flackert Panik in ihren Augen, aber nur für einen Sekundenbruchteil – dann reißt sie die Waffe hoch und zielt auf seine Brust. »Keine Bewegung.«
    Er bleibt stehen und hebt die Hände, ohne die .30-06 seines Vaters fallen zu lassen. Erst der kleine Bruder, dann der große, jetzt der mittlere. »Was soll das, Sarah? Du sollst doch im Zimmer bleiben.«
    »Halt den Mund«, sagt sie. »Und leg das Gewehr auf den Boden.«
    »Aber du weißt doch gar nicht, wie man mit so einem Ding umgeht. Du kannst mich gar nicht erschießen.«
    »Das ist eine Halbautomatik, und das Ding ist entsichert. Ich muss nur zielen und abdrücken. Hast du selber gesagt.«
    Behutsam tritt er einen Schritt vor.
    »Keine Bewegung, hab ich gesagt!«
    Er gehorcht.
    »Und jetzt legst du das Gewehr auf den Boden.«
    »Du kannst mich nicht erschießen, Sarah.«
    Sie fährt sich mit der Zunge über die Lippen und hebt die Pistole, bis der Lauf auf seinen Kopf zeigt. Henry starrt sie an, erst auf die Waffe, dann an der Waffe vorbei auf ihr Gesicht. Mit einem Mal weiß er, dass sie schießen wird. Oder dass sie schießen könnte, wenn er nicht aufpasst. Er denkt an Beatrice’ Knöchel. Was ist da eigentlich passiert? Jetzt, als er in Sarahs Gesicht blickt, hat er einen konkreten Verdacht. Er sieht es in ihren Augen –
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