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Cop

Cop

Titel: Cop
Autoren: R Jahn
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horizontale Kante des Dachs. Er wartet.
    Auf seinem Bauch vermischen sich Schweiß und Blut, das Blut aus dem Loch in seiner Brust, in der der Schmerz immer stärker pulsiert. Er atmet schnell und flach, tiefe Atemzüge bringt er nicht mehr zustande, jeder Versuch endet in einem quälenden Hustenanfall. Natürlich weiß er, was mit ihm passiert: Ohne Katheter in der Lunge ertrinkt er an seinem eigenen Blut. Vorhin hat er sich nur gefühlt, als würde er ertrinken. Nun ertrinkt er wirklich.
    Eine plötzliche Bewegung auf dem Dach. Ian drückt ab. Wieder fliegen Betonsplitter durch die Luft.
    Jetzt rührt sich nichts mehr.
    Er blickt sich um – Diego ist nicht zu sehen.
    Gut so.
    Schwarze Punkte tanzen vor Ians Augen. Bald wird er sich ausruhen müssen, ob er will oder nicht.
    Er feuert die letzten drei Schüsse aus dem Magazin der 11-87 ab und lauscht dem Klimpern der Patronenhülsen auf dem Asphalt. Erst dann gibt er seiner Erschöpfung nach und sinkt zu Boden. Er bekommt keine Luft mehr, ihm tut alles weh. Der Rückstoß hat seine ganze rechte Seite durchgeschüttelt, alle seine Wunden schreien vor Schmerz. Schweiß rinnt ihm über das Gesicht und tropft von der Nasenspitze herab. Nachdem er ein paarmal geblinzelt hat, blickt er sich noch einmal um.
    Diego ist weder zu sehen noch zu hören.
    Stille, bis auf seine eigenen Atemzüge.
    Dann hört er ihn plötzlich doch. Er hört den raschen Rhythmus seiner Stiefel, er hört ihn rennen. Diego ist bereits weit weg und entfernt sich immer weiter.
    Ian nickt. Gut so.
    Dann tastet er nach der Großkalibermunition, öffnet die Schachtel und lädt die Remington.
    Vorsichtig schiebt Maggie den Metallring über die Stange. Wenn es bloß nicht zu laut klappert. Die letzte Schraube hat sie schon entfernt, sie kann den Ring also einfach durch die Lücke zwischen Schreibbrett und Halterung drücken. Und plötzlich ist sie frei. Die Handschellen baumeln vom Handgelenk. Ein merkwürdiges Gefühl. Die Enge in ihrer Brust verliert sich, löst sich auf – nur weil sie weiß, dass ihre Hände frei sind.
    Ihre Hände sind frei.
    Sie wirft einen Blick auf Beatrice.
    Beatrice rührt sich nicht.
    Die Pistole liegt auf dem Boden neben einem Haufen Chipstüten und Schokoriegel.
    Ohne Beatrice aus den Augen zu lassen, rutscht Maggie vom Stuhl und schleicht quer durch den Raum. Gott sei Dank ist sie barfuß.
    Trotzdem muss Beatrice die Bewegung aus dem Augenwinkel bemerkt haben, denn sie dreht sich um und starrt sie an. »Was machst du da, Sarah? Henry hat doch gesagt, wir sollen hierbleiben.«
    Schnell rennt Maggie das letzte Stück und schnappt sich die Pistole.
    Beatrice kommt auf sie zu. Doch als Maggie zielt, bleibt sie stehen.
    »Ich will dich nicht erschießen.« Ihre Stimme zittert. »Aber wenn es sein muss …«
    Beatrice schweigt, die großen, glänzenden Augen auf Maggie gerichtet. Wie so oft rollen Tränen über ihr rundliches Gesicht. Ihr Kinn bebt, ihre Schultern sinken herab, als würde sie sich geschlagen geben. »Unsere Familie ist für immer kaputt, oder?«
    »Wir waren nie eine Familie«, erwidert Maggie.
    Beatrice lehnt sich gegen die Wand und lässt sich zu Boden rutschen, sie zieht die Beine an, schlingt die Arme um die Knie. So bleibt sie sitzen und blickt starr geradeaus. Maggie sieht ihre weiße Unterhose. Auf einmal hat sie das Gefühl, vor einem kleinen Mädchen zu stehen. Vor einem kleinen Mädchen, das dicke Tränen weint, die ihr vom Gesicht auf ihr Kleid kullern.
    »Wir waren nie eine Familie«, murmelt Beatrice. Dabei starrt sie ins Leere, als würde sie eine fremde Sprache sprechen, die sie noch nicht ganz versteht.
    Als sie wieder aufblickt, geht Maggie schon rückwärts zur Tür.
    »Ja«, sagt Beatrice, »wir waren nie eine Familie. Aber ich hab dich immer lieb gehabt.«
    »Ich hab dich nie lieb gehabt.« Damit dreht sie sich um und rennt in den Flur. Sie muss hier raus.
    Der erste Schuss schlägt ein paar Zentimeter links von Henrys Beinen ein. Er spürt die Druckwelle der verdrängten Luft und hört den Aufprall der Kugel auf dem Dach, ein feuchtes Krachen, das ihn an einen Knochen denken lässt, der aufbricht und sein Mark vergießt. Teersplitter prasseln auf seine Levis.
    »Scheiße, was war das denn?« Ron, der immer noch hinter ihm kauert, sucht die umliegenden Gebäude ab. Das Echo des Knalls wabert durch die leeren Straßen, doch der Schütze ist nirgends zu sehen.
    »Keine Ahnung«, meint Henry. »Auf jeden Fall kam’s von oben. Der Winkel
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