Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache

Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache

Titel: Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
Eins
    Lautes, unablässiges Klopfen an der Haustür weckte ihn auf. Ein verzweifeltes Hämmern mit Händen und Füßen. Eigentümlich war nur, dass keiner klingelte. Er blickte zum Fenster: Durch die geschlossenen Läden drang nicht die frühe Morgendämmerung, draußen herrschte noch tiefe Dunkelheit. Oder besser gesagt, durch das Fenster fiel gelegentlich ein tückischer Blitz, in dessen Licht das Zimmer zu erstarren schien, gefolgt von einem Donnern, das die Scheiben klirren ließ. Tags zuvor hatte das Gewitter angefangen, und es wurde immer heftiger. Jedoch, und das war merkwürdig, war das Tosen des Meeres nicht zu hören, das inzwischen den Strand bis unterhalb der Veranda verschlungen haben musste. Er tastete suchend nach dem Fuß der Nachttischlampe, drückte auf den Knopf, der klick machte, doch das Licht ging nicht an. War die Birne durchgebrannt oder gab es keinen Strom? Er stand auf, und ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken. Durch den Fensterladen drangen nicht nur Blitze, sondern auch schneidend kalter Wind. Der Lichtschalter für die Deckenlampe ließ ebenfalls kein Licht aufflammen. Vielleicht war der Strom wegen des Gewitters ausgefallen.
    Das Klopfen hörte nicht auf. In diesem Aufruhr meinte er auch eine Stimme zu hören, die verzweifelt nach ihm rief.
    »Ich komm ja schon, ich komm ja schon!«, rief er.
    Weil er nackt geschlafen hatte, suchte er nach etwas, das er sich überwerfen konnte, doch er fand nichts. Er war sich sicher, dass er die Hose über den Stuhl am Fußende des Bettes gelegt hatte. Vielleicht war sie hinuntergefallen. Aber er konnte nicht noch weitere Zeit mit Suchen vergeuden. Er ging zur Haustür.
    »Wer ist denn da?«, fragte er, ohne zu öffnen.
    »Bonetti-Alderighi. Machen Sie auf, schnell!«
    Er war völlig überrumpelt, ein Schwindelgefühl erfasste ihn. Der Polizeipräsident? Was hatte das denn zu bedeuten? Oder sollte das ein blöder Streich sein?
    »Einen Augenblick.«
    Er holte schnell die Taschenlampe, die er in der Schublade des Esszimmertischs aufbewahrte, knipste sie an und öffnete. Wie versteinert blieb er stehen, als er den Polizeipräsidenten völlig durchnässt vom Regen vor sich sah. Bonetti-Alderighi trug einen schwarzen Hut und einen Regenmantel, dessen linker Ärmel zerrissen war.
    »Lassen Sie mich durch.«
    Montalbano trat zur Seite, und der andere ging an ihm vorbei. Der Commissario folgte ihm automatisch, fast wie ein Schlafwandler, und vergaß, die Tür zu schließen, die nun im Sturmwind schlug. Sobald Bonetti-Alderighi in Reichweite des erstbesten Stuhls war, setzte er sich, oder vielmehr: Er brach auf ihm zusammen. Vor Montalbanos erschütterten Blicken vergrub er sein Gesicht in den Händen und fing an zu weinen.
    Mit der Geschwindigkeit eines Flugzeugs vor dem Abheben rasten die Fragen durch Montalbanos Kopf. Sie tauchten auf und verschwanden wieder, sie formten sich und vergingen derart rasch, dass es ihm unmöglich war, auch nur eine von ihnen klar und deutlich festzuhalten. Er war nicht einmal in der Lage, den Mund aufzumachen.
    »Können Sie mich in Ihrem Haus verstecken?«, fragte ihn der Polizeipräsident mit ängstlicher Dringlichkeit.
    Verstecken? Wieso musste sich der Polizeipräsident verstecken? Wollte er untertauchen? Was hatte er verbrochen? Wer war hinter ihm her?
    »Ich … ich verstehe nicht, was …«
    Bonetti-Alderighi sah ihn fassungslos an.
    »Ja, was denn, Montalbano, Sie wissen noch gar nichts?«
    »Nein.«
    »Die Mafia hat heute Nacht die Macht übernommen!«
    »Was sagen Sie da?!«
    »Was hatten Sie denn gedacht, wie es in unserem unglücklichen Land weitergehen würde? Ein nettes Gesetz hier, ein nettes Gesetz da, und am Ende landen wir dort, wo wir jetzt stehen. Könnte ich bitte ein Glas Wasser haben?«
    »So… sofort.«
    Ihm war gleich klar, dass der Polizeipräsident nicht mehr ganz bei sich war. Vielleicht hatte er ja einen Autounfall gehabt und redete nun wirres Zeug, weil er unter Schock stand. Am besten, er rief im Polizeipräsidium an. Vielleicht war es auch besser, einen Arzt zu rufen. Jedenfalls durfte der arme Kerl zunächst keinen Verdacht schöpfen. Daher musste er fürs Erste auf Bonetti-Alderighi eingehen.
    Er betrat die Küche, drückte aus Gewohnheit wieder auf den Lichtschalter, und das Licht ging an. Er füllte ein Glas, kehrte zurück und hielt an der Tür inne, wie gelähmt. Eine der heutzutage üblichen Skulpturen, die den Titel »Männlicher Akt mit Glas in der Hand« hätte tragen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher