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Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache

Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache

Titel: Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
Autoren: Andrea Camilleri
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ging der Weg in eine Rechtskurve über. Der dichte Regen machte auch auf kurze Distanz jede Sicht unmöglich. Plötzlich hörte Montalbano, dass ihn von oben jemand rief.
    »Dottore, hier sind wir.«
    Er hob den Blick. Fazio stand auf einer Art Anhöhe, zu der man gelangte, wenn man drei in die Erde gegrabene Stufen hochstieg. Er schützte sich mit einem riesigen rot-gelben Regenschirm, wie Schäfer ihn haben. Wo hatte er den nur aufgetrieben? Um die drei Treppen hinaufzusteigen, brauchte Montalbano Catarella, der ihn von hinten schob, und Fazio, der ihn mit der Hand hochzog. Das ist doch nichts mehr für mich, dieses Leben, dachte er bitter. Die Anhöhe war ein winziger Platz vor dem mannshohen Eingang zu einer Grotte. Kaum war der Commissario drinnen, hielt er inne.
    In der Grotte war es warm, ein Feuer brannte in einem Kreis aus Steinen, vom Gewölbe hing eine Petroleumlampe herunter, wie man sie an Karren hängt, und spendete ausreichend Licht. Ein Mann um die sechzig mit Pfeife im Mund und Mimì saßen auf Hockern aus Zweigen und spielten Karten auf einem Tischchen, das ebenfalls aus Zweigen geflochten war. Hin und wieder tranken sie einen Schluck Wein aus einer auf dem Boden stehenden Flasche. Eine Schäferidylle. Und das umso mehr, als von der Leiche auch nicht die geringste Spur zu sehen war. Der Sechzigjährige grüßte ihn, Mimì nicht. Seit einem Monat hatte Mimì der gesamten Schöpfung den Krieg erklärt.
    »Den Toten hat dieser Herr da entdeckt, der mit Dottor Augello Karten spielt«, sagte Fazio und deutete auf den Mann. »Er heißt Pasquale Ajena, und dieses Stück Land hier gehört ihm. Er kommt jeden Tag her. Und er hat sich die Grotte ein wenig eingerichtet, weil er hier drinnen isst, sich ausruht oder die Landschaft betrachtet.«
    »Darf ich die ganz bescheidene Frage äußern, wo zum Teufel der Tote ist?«
    »Wie es aussieht, Dottore, befindet er sich ungefähr fünfzig Meter weiter unten.«
    »Was soll das heißen ›Wie es aussieht‹? Ihr habt ihn noch nicht gesehen?«
    »Nein. Pasquale Ajena hat uns gesagt, dass die Stelle praktisch unerreichbar ist, wenn der Regen nicht aufhört.«
    »Aber hier hört der Regen frühestens, allerfrühestens heute Abend auf.«
    »In einer Stunde werden die Wolken aufreißen«, schaltete sich Ajena entschieden ein. »Garantiert. Danach sehen wir weiter.«
    »Und was machen wir hier so lange?«
    »Haben Sie heute Morgen schon etwas gegessen?«, fragte Ajena.
    »Nein.«
    »Wollen Sie ein Stück frischen Käse mit einer schönen Scheibe Weizenbrot von gestern?«
    Montalbano ging auf der Stelle das Herz auf, und ein Hauch von Fröhlichkeit hielt Einzug.
    »Warum nicht?«
    Ajena stand auf, öffnete einen großen Sack, der an einem Nagel hing, zog ein Stück Brot heraus, einen ganzen Käselaib und eine weitere Flasche Wein. Er schob die Karten beiseite und stellte alles auf das Tischchen. Dann zog er aus einer Hosentasche eine Art Klappmesser, öffnete es und legte es neben das Brot.
    »Bedienen Sie sich.«
    Das taten sie.
    »Wollen Sie mir denn nicht wenigstens sagen, wie Sie die Leiche gefunden haben?«, fragte Montalbano mit vollem Mund.
    »Oh nein!«, brach es aus Mimì Augello hervor. »Zuerst muss er das Spiel zu Ende spielen. Ich habe noch kein einziges gewonnen!«
    Mimì verlor auch dieses Spiel und wollte seine Revanche und danach eine weitere Revanche. Montalbano, Fazio und Catarella, der sich vor dem Feuer trocknete, verschlangen den Käse, der so unglaublich zart war, dass er auf der Zunge zerging, und tranken die ganze Flasche aus.
    So verfloss eine Stunde.
    Und dann rissen die Wolken auf, wie Ajena es vorhergesagt hatte.

Zwei
    »Er war hier«, sagte Ajena und schaute den Abgrund vor sich hinunter. »Das versteh ich nicht.«
    Auf einem schmalen Pfad standen sie Ellbogen an Ellbogen dicht gedrängt nebeneinander. Sie blickten nach unten auf ein steil abfallendes, fast schon schluchtartiges Gelände. Doch eigentlich war es kein Gelände, sondern eine Anhäufung von graufarbigen und gelblichen Tonplatten, die kein Wasser aufnahmen, bedeckt oder, besser gesagt, überzogen von einer Patina, die Rasierschaum von tückischer Konsistenz glich. Es war klar, dass man nur einen Fuß daraufzusetzen brauchte, um dann zwanzig Meter weiter unten zu landen.
    »Er war ganz genau hier«, wiederholte Ajena.
    Und jetzt war er es nicht mehr. Dieser Tote auf großer Fahrt, dieser Tote auf Wanderschaft.
    Während des Abstiegs zu der Stelle, wo Ajena die Leiche entdeckt hatte,
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