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Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Titel: Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Autoren: Andrea Camilleri
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Beim kleinsten Anlass bricht er fast in Tränen aus. Er schämt sich für seine Dünnhäutigkeit, sie ist ihm peinlich, und er muss komplizierte Schutzmaßnahmen austüfteln, damit die anderen nichts merken. Aber bei Livia schafft er es nicht. Livia hat beschlossen, ihm zu helfen, ihn ein bisschen hart anzufassen, damit er keinen Grund hat, sich gehen zu lassen. Doch das nutzt alles nichts, denn Livias Mitgefühl ruft bei ihm eine Mischung aus Rührung und Glück hervor. Er freut sich, dass sie ihren ganzen Urlaub geopfert hat, um ihn zu versorgen, und er weiß, dass auch das Haus in Marinella sich freut, dass Livia da ist. Bei Licht betrachtet, wirkt sein Schlafzimmer seitdem, als hätte es Farbe bekommen, als wären die Wände strahlend weiß getüncht. Da ihn niemand sieht, wischt er sich mit dem Zipfel des Lakens eine Träne ab.
    Alles weiß und in diesem Weiß nur das Braun seiner nackten Haut. (War sie mal rosa? Vor wie viel hundert Jahren?) Weiß auch der Raum, in dem das EKG gemacht wird. Der Arzt betrachtet den langen Papierstreifen und schüttelt skeptisch den Kopf. Erschrocken stellt Montalbano sich vor, dass die Kurven aussehen wie die Aufzeichnung des Seismographen beim Erdbeben von Messina 1908. Die hat er mal in einer historischen Fachzeitschrift gesehen: ein verzweifelter, sinnloser Wirrwarr, wie von einer vor Angst wahnsinnigen Hand gezeichnet.
    Jetzt haben sie mich erwischt!, denkt er. Sie haben gemerkt, dass mein Herz mit Wechselstrom funktioniert, nach Lust und Laune, und dass ich mindestens drei Infarkte hinter mir habe!
    Später kommt ein weiterer Arzt zu ihm ins Zimmer, ebenfalls im weißen Kittel. Er sieht den Streifen an, er sieht Montalbano an, er sieht den Kollegen an.
    »Wir machen noch mal eins« , sagt er.
    Vielleicht trauen sie ihren Augen nicht, vielleicht können sie sich nicht vorstellen, dass ein Mann mit einem solchen EKG noch in einem Klinikbett liegt und nicht auf einem Marmortisch der Gerichtsmedizin. Sie stecken die Köpfe zusammen und sehen sich den neuen Streifen an.
    »Wir machen eine Computertomographie des Herzens, entscheiden sie. Immer noch reichlich verwirrt.«
    Montalbano würde ihnen am liebsten sagen, dass sie, wenn es so um ihn steht, die Kugel gleich drinlassen können. Dass sie ihn in Ruhe sterben lassen sollen. Aber verflucht, er hat kein Testament gemacht. Das Haus in Marinella zum Beispiel muss natürlich Livia bekommen, bevor irgendein Cousin vierten Grades irgendwelche Ansprüche anmeldet.
    Das Haus in Marinella gehört nämlich seit ein paar Jahren ihm. Er hätte nie im Leben gedacht, dass er es sich einmal würde leisten können, es war zu teuer, bei seinem Gehalt konnte er nicht viel zurücklegen. Dann schrieb ihm eines Tages der Geschäftspartner seines Vaters, er könne ihm den väterlichen Anteil an der gemeinsamen Weinkellerei auszahlen, eine beachtliche Summe. So bekam er genug Geld, um das Haus zu kaufen, und konnte noch eine ganze Menge auf die Bank tragen. Als Altersversorgung.
    Er musste sein Testament machen, schließlich war er ohne sein Zutun ein vermögender Mann geworden. Doch seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte er sich noch nicht aufraffen können, zum Notar zu gehen. Aber wenn es so weit war, sollte Livia das Haus bekommen, das stand außer Frage. Was er François … Was er seinem Sohn, der nicht sein Sohn war, aber es hätte sein können, hinterließ, wusste er genau. Geld für ein tolles Auto. Er sah schon Livias verärgertes Gesicht. Wie bitte? Du willst ihn so verwöhnen? Ja, das will ich. Ein Kind, das kein eigenes ist, aber das eigene hätte sein können (sollen?), sollte man viel mehr verwöhnen als ein eigenes Kind. Der Gedanke war zwar etwas schräg, aber da war schon was dran. Und Catarella? Denn Catarella musste er in seinem Testament natürlich auch bedenken. Und was konnte er ihm hinterlassen? Bücher bestimmt nicht. Er versuchte sich an ein altes Gebirgsjägerlied zu erinnern, Das Testament des Hauptmanns oder so ähnlich, aber er wusste nicht mehr, wie es ging. Die Uhr! Ja, Catarella würde er die Uhr seines Vaters vererben, die dessen Partner ihm geschickt hatte. Dann fühlte er sich zur Familie gehörig. Die Uhr war das einzig Richtige.
    Die Uhr in dem Raum, in dem sein Herz untersucht wird, kann er nicht richtig lesen, weil er einen milchigen Schleier vor den Augen hat. Die beiden Ärzte schauen wie gebannt auf einen Bildschirm und schieben ab und zu eine Maus herum.
    Einer der beiden – der ihn operieren
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