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Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Titel: Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Autoren: Andrea Camilleri
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soll – heißt Strozzera, Amedeo Strozzera. Diesmal kommt kein Papierstreifen aus dem Apparat, sondern eine Fotoserie oder etwas in der Art.
    Die beiden Ärzte sehen sie sich immer wieder an, und am Ende stöhnen sie, wie erschöpft von einer langen Wanderung. Strozzera tritt zu ihm, während sich der Kollege auf einen – natürlich weißen – Stuhl setzt, und schaut ihn ernst an. Dann beugt er sich vor. Montalbano wartet darauf, dass er gleich sagt: »Tun Sie doch nicht so, als wären Sie lebendig! Schämen Sie sich!«
    Wie hieß es in dem Gedicht noch mal? Eh der Soldat sich ’s recht versah / die Kugel flog, der Tod war da.
    Doch der Arzt sagt gar nichts und hört ihn mit dem Stethoskop ab. Als ob er das nicht schon zwanzigmal getan hätte! Schließlich richtet er sich auf sieht seinen Kollegen an und fragt:
    »Und wie geht’s jetzt weiter?«
    »Ich würde ihn Di Bartolo zeigen.«
    Di Bartolo! Eine Legende. Montalbano hat ihn vor einiger Zeit kennen gelernt. Ein hagerer Mann in den Siebzigern, der mit seinem weißen Bärtchen wie eine Ziege aussieht und auf gesellschaftliche Umgangsformen und gute Manieren pfeift.
    Einmal soll er einen Mann, der als gnadenloser Wucherer bekannt war, auf seine Weise untersucht und ihm erklärt haben, er könne nichts sagen, da er sein Herz nicht finde. Und zu einem anderen, der in der Bar einen Kaffee trank und den er noch nie gesehen hatte, sagte er: »Sie kriegen gleich einen Herzinfarkt.« Und das Beste: Der Mann erlitt auf der Stelle einen Infarkt, wahrscheinlich weil ihm das eine Koryphäe wie Di Bartolo eröffnet hatte. Aber warum wollen die zwei Di Bartolo hinzuziehen, wo doch sowieso nichts mehr zu machen ist? Vielleicht wollen sie dem alten Meister ein Phänomen vorführen: einen, der mit einem Herzen, kaputt wie das bombardierte Dresden, immer noch lebt.
    Bis es so weit ist, beschließen sie, ihn erst mal wieder auf sein Zimmer zu bringen. Als sie die Tür öffnen, um die Liege reinzuschieben, hört Montalbano Livias verzweifelte Stimme:
    »Salvo! Salvo!«
    Er hat keine Lust zu antworten. Arme Livia! Sie war nach Vigàta gekommen, um ein paar Tage mit ihm zu verbringen, und dann diese böse Überraschung.
    »Das war wirklich eine böse Überraschung!«, hatte Livia tags zuvor gesagt, als er von einer Nachuntersuchung im Krankenhaus in Montelusa mit einem dicken Strauß Rosen zurückkam. Sie war in Tränen ausgebrochen.
    »Komm, hör auf.«
    Er heulte selber fast.
    »Warum denn?«
    »Das hast du doch noch nie gemacht!«
    »Und hast du mir schon mal Rosen geschenkt?«
    Behutsam, damit sie nicht aufwacht, legt er ihr die Hand auf die Hüfte.
    Er hat vergessen oder vielleicht bei der ersten Begegnung nicht darauf geachtet, dass Professor Di Bartolo nicht nur wie eine Ziege aussieht, sondern auch eine Ziegenstimme hat.
    »Guten Morgen allerseits« , meckert er, als er hereinkommt, gefolgt von einem Dutzend Weißkitteln, die sich in den Raum drängen.
    »Guten Morgen« , antwortet lediglich Montalbano, denn er ist der einzige Patient im Zimmer.
    Der Professor tritt an sein Bett und mustert ihn interessiert. »Freut mich zu sehen, dass Sie trotz meiner Kollegen noch zurechnungsfähig sind.«
    Auf einen Wink tritt Strozzera zu ihm und reicht ihm die Untersuchungsergebnisse. Der Professor sieht das erste Blatt kurz an und wirft es dann aufs Bett, ebenso das zweite, dann das dritte und auch das vierte. Montalbanos Kopf und Oberkörper sind bald unter Papieren verschwunden. Schließlich hört Montalbano die Stimme des Professors, sehen kann er ihn nicht, weil die Aufnahmen genau auf seinen Augen liegen:
    »Wozu haben Sie mich eigentlich geholt?«
    Das Meckern klingt gereizt, die Ziege wird offensichtlich langsam wütend.
    »Nun, Professore« , lässt Strozzera sich zögernd vernehmen, »einer unserer Assistenzärzte hat von einer Episode erzählt, und zwar hatte der Commissario vor ein paar Tagen einen ernsten …«
    Was? Er kann Strozzera nicht hören. Vielleicht flüstert er dem Professor die Zusammenfassung der Folge ins Ohr.
    Folge? Was hat das mit Folgen zu tun? Das ist doch keine Romanverfilmung. Strozzera hat etwas von einer Episode gesagt. Aber die Folgen einer Romanverfilmung nennt man auch Episoden, oder?
    »Setzen Sie ihn auf« , befiehlt der Professor.
    Sie sammeln die Blätter ein und setzen ihn behutsam auf. In andächtigem Schweigen umzingeln die Doktoren sein Bett. Di Bartolo legt das Stethoskop an, versetzt es um ein paar Zentimeter, versetzt es erneut und
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