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Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers

Titel: Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Autoren: Andrea Camilleri
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hält inne. Als der Commissario das Gesicht des Professors so nah vor sich hat, merkt er, dass dieser immerfort den Unterkiefer bewegt, als kaue er Kaugummi. Doch plötzlich begreift er: Der Professor käut wieder.
    Di Bartolo ist wirklich eine Ziege. Die sich schon seit geraumer Zeit nicht bewegt. Reglos lauscht. Was hören seine Ohren wohl in meinem Herzen?, fragt sich Montalbano. Einstürzende Häuser? Spalten, die sich plötzlich auftun? Unterirdisches Dröhnen? Di Bartolo lauscht ewig, keinen Millimeter rückt er von der Stelle ab, die er ausgemacht hat. Tut ihm denn nicht der Rücken weh, wenn er so gebeugt dasteht? Dem Commissario bricht der Angstschweiß aus. Dann richtet sich der Professor auf.
    »Das genügt.«
    Sie legen Montalbano wieder hin.
    »Meines Erachtens« , lautet die Schlussfolgerung der Koryphäe, »könnte man noch drei- oder viermal auf ihn schießen und dann die Kugeln ohne Narkose rausholen. Sein Herz würde das locker wegstecken.«
    Grußlos verlässt er das Zimmer.
    Zehn Minuten später liegt Montalbano im hell erleuchteten OP. Ein Mann legt ihm eine Art Maske aufs Gesicht.
    »Tief einatmen« , sagt er.
    Montalbano gehorcht. Und dann kann er sich an nichts mehr erinnern.
    Warum hat eigentlich noch niemand ein Spray erfunden, fragt er sich, das man sich einfach in die Nase sprüht, wenn man nicht schlafen kann, es kommt Gas oder sonst was heraus, und auf der Stelle schläft man ein.
    Das wäre doch praktisch, eine Narkose bei Schlaflosigkeit.
    Durst quält ihn. Er steigt vorsichtig aus dem Bett, damit Livia nicht aufwacht, geht in die Küche und schenkt sich aus einer angebrochenen Flasche Mineralwasser ein Glas ein. Und jetzt? Er macht mit dem Arm ein paar Übungen, die ihm die Krankengymnastin gezeigt hat. Eins, zwei, drei und vier. Eins, zwei, drei und vier. Der Arm lässt sich so gut bewegen, dass er unbesorgt Auto fahren kann.
    Strazzera hat ganz Recht gehabt. Bloß schläft der Arm manchmal ein, wie wenn die Beine zu lange in derselben Position sind, und das fühlt sich dann an wie tausend Nadelstiche. Oder wie ein Ameisenhaufen. Montalbano trinkt noch ein Glas Wasser und legt sich wieder hin. Als Livia merkt, dass er unter die Decke schlüpft, murmelt sie irgendwas und kehrt ihm den Rücken zu.
    »Wasser« , stöhnt er und schlägt die Augen auf.
    Livia gießt ihm ein Glas ein und stützt seinen Kopf mit einer Hand im Nacken, damit er trinken kann. Dann stellt sie das Glas auf den Nachttisch und verschwindet aus Montalbanos Blickfeld. Er schafft es, sich ein bisschen aufzurichten. Livia steht am Fenster, und neben ihr Dottor Strazzera, der auf sie einredet. Montalbano hört Livia kichern. Wie witzig Dottor Strazzera ist! Und warum ist er Livia so nah auf die Pelle gerückt? Und warum findet Livia nicht, dass sie ein bisschen Abstand halten sollte? Euch werd ich’s zeigen.
    »Wasser!« , schreit er wütend.
    Livia fährt erschrocken zusammen.
    »Warum trinkt er denn so viel?« , fragt sie.
    »Das kommt von der Narkose« , erklärt Strazzera. Und fügt hinzu: »Die Operation war übrigens eine Bagatelle, Livia. Ich habe dafür gesorgt, dass man die Narbe kaum sehen wird.«
    Livia lächelt ihn dankbar an, was den Commissario noch mehr in Rage bringt.
    Eine unsichtbare Narbe! Dann wird der nächste Muskelmann-Schönheitswettbewerb ja ein Kinderspiel.
    Apropos Muskel oder was das sonst ist. Montalbano rutscht lautlos zu Livia hinüber und schmiegt sich an ihren Rücken. Sie scheint die Berührung als angenehm zu empfinden, denn sie grunzt leise im Schlaf.
    Montalbano legt die hohle Hand auf eine ihrer Brüste. Automatisch legt Livia ihre Hand auf seine. Mehr läuft nicht. Montalbano weiß nämlich genau, dass Livia weiteren Unternehmungen seinerseits sofort Einhalt gebieten würde. Das ist schon in der ersten Nacht so gewesen, als sie wieder in Marinella waren.
    »Nein, Salvo. Kommt nicht in Frage. Es könnte dir wehtun.«
    »Komm schon, Livia, ich bin an der Schulter verletzt, und nicht am …«
    »Sei nicht so ordinär. Verstehst du das nicht? Mir wäre einfach nicht wohl dabei, ich hätte Angst, dir …«
    Aber der Muskel, oder was das sonst ist, versteht die Befürchtungen nicht. Er hat kein Hirn, er ist es nicht gewohnt nachzudenken. Er lässt sich nichts sagen. Er steht einfach nur da, geschwollen vor Wut und Lust.
    Angst. Furcht. Das ist es, was er zwei Tage nach der Operation empfindet, als gegen neun Uhr morgens die Wunde heftig zu schmerzen beginnt. Warum tut sie so weh?
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