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Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Titel: Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers
Autoren: Andrea Camilleri
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kleinen Schreibtisch gesetzt, der in seinem Schlafzimmer stand. Im stillen wiederholte er die Worte, mit denen er seiner Mutter das Ganze erzählt hatte, und alles paßte, das Glöckchen in seinem Kopf schrillte bloß leise im Hintergrund. Es war wie das Spiel mit »heiß und kalt«. Solange er all das wiederholte, was er erzählt hatte, schien das Glöckchen ihm zu sagen: kalt, kalt. Folglich mußte das ungute Gefühl, das er verspürte, von etwas herrühren, das er seiner Mutter nicht gesagt hatte. Und tatsächlich hatte er ihr dieselben Dinge verschwiegen, die er auch, im Einverständnis mit Saro, Montalbano gegenüber unerwähnt gelassen hatte: daß sie den Toten sofort erkannt und den Advokaten Rizzo angerufen hatten. Und da wurde das Glöckchen sehr laut, tönte hell: heiß, heiß! Er nahm Papier und Bleistift und schrieb das Gespräch, das er mit dem Advokaten geführt hatte, Wort für Wort nieder. Er las es noch einmal durch und machte Korrekturen, wobei er sein Gedächtnis derart anstrengte, daß er schließlich, wie in einem Drehbuch, sogar die Pausen eintrug. Schließlich ging er die endgültige Version noch einmal durch. Irgend etwas stimmte immer noch nicht mit diesem Dialog. Aber nun war es zu spät, er mußte zur Arbeit in die »Splendor«.
    Um zehn Uhr morgens wurde Montalbano in der Lektüre der beiden sizilianischen Tageszeitungen - eine erschien in Palermo, die andere in Catania - von einem Anruf des Polizeipräsidenten gestört. »Ich darf Ihnen Lob und Dank übermitteln«, setzte der Polizeipräsident an. »Ach ja? Und von wem, bitte?«
    »Vom Bischof und von unserem Minister. Monsignor Teruzzi hat sich sehr zufrieden über die christliche Nächstenliebe geäußert, genauso hat er sich ausgedrückt, die Sie, wie sagt man noch, bewiesen haben, indem Sie verhinderten, daß skrupellose Journalisten und Fotografen anstößige Bilder von der Leiche machen und veröffentlichen konnten.«
    »Aber ich habe diese Anordnung erteilt, als ich noch gar nicht wußte, wer der Tote ist! Das hätte ich für jeden getan.«
    »Weiß ich, Jacomuzzi hat mir alles berichtet. Aber warum hätte ich den hochwürdigen Prälaten auf diese Nebensächlichkeit hinweisen sollen? Um ihn hinsichtlich Ihrer christlichen Nächstenliebe zu enttäuschen? Die Nächstenliebe, mein Liebster, ist um so wertvoller, je höher die Stellung des von der Nächstenliebe betroffenen Wesens ist, verstehen Sie? Stellen Sie sich vor, der Bischof hat sogar Pirandello zitiert.«
    »Was Sie nicht sagen!«
    »Doch, doch. Er hat dessen Stück Sechs Personen suchen einen Autor angeführt, die Stelle, an der der Vater sagt, daß man jemandem, der alles in allem ein rechtschaffenes Leben geführt hat, eine einzelne frevelhafte Tat, einen Fehltritt sozusagen, nicht auf ewig nachtragen sollte. Mit anderen Worten: Man darf der Nachwelt von unserem teuren Ingegnere nicht das Bild mit den heruntergelassenen Hosen überliefern.«
    »Und der Minister?«
    »Der hat Pirandello nicht zitiert. Der weiß nicht einmal, wie man den Namen schreibt. Aber der Gedanke war letztlich derselbe. Und da er zur gleichen Partei gehört wie Luparello, hat er sich erlaubt, noch ein Wort hinzuzufügen.«
    »Welches?«
    »Vorsicht.«
    »Was hat denn die Vorsicht mit dieser Geschichte zu tun?«
    »Keine Ahnung, ich gebe Ihnen das Wort so weiter, wie er es mir gesagt hat.«
    »Und die Autopsie? Gibt es da etwas Neues?«
    »Noch nicht. Pasquano wollte ihn bis morgen im Kühlschrank lassen. Ich habe ihn jedoch gebeten, ihn heute entweder am späten Vormittag oder am frühen Nachmittag zu untersuchen. Aber ich glaube nicht, daß von dieser Seite neue Erkenntnisse zu erwarten sind.«
    »Das glaube ich auch nicht«, schloß der Commissario.
    Nachdem er seine Zeitungslektüre wieder aufgenommen hatte, erfuhr Montalbano aus den Artikeln wesentlich weniger, als er über das Leben, die Wundertaten und den Tod des Ingenieurs Luparello ohnehin schon wußte. Sie halfen ihm nur, seine Erinnerungen etwas aufzufrischen. Erbe einer Dynastie von Bauunternehmern aus Montelusa (der Großvater hatte den alten Bahnhof entworfen und gebaut, der Vater den Justizpalast), war der junge Silvio, nachdem er sein Studium am Polytechnikum in Mailand mit einer glänzenden Promotion abgeschlossen hatte, nach Hause zurückgekehrt, um das Familienunternehmen weiterzuführen und auszubauen. Als praktizierender Katholik war er in der Politik den Ideen des Großvaters verhaftet geblieben, der ein glühender Anhänger
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