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Coelho,Paul

Coelho,Paul

Titel: Coelho,Paul
Autoren: Schutzengel
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wichtig«, sagte er. »Er hat seinen Engel schon gesehen und mit
ihm gesprochen, und er wird dich benutzen, um es mir beizubringen. Aber er
kennt die Macht der Worte; er weiß, dass Ratschläge, die nicht gehört werden,
wieder zu dem zurückkehren, der sie gegeben hat, und damit ihre Energie
verlieren. Er muss sich sicher sein, dass du an dem interessiert bist, was er
sagt.«
    »Warum zeigt er es dir nicht
direkt?«
    »Es gibt eine ungeschriebene Regel
innerhalb der Tradition: Ein Meister wird niemals einen Schüler eines anderen
Meisters etwas lehren. Ich bin Schüler von J. Aber er will mir helfen. Deshalb
hat er dich dazu erwählt.«
    »Hast du mich deswegen
mitgenommen?«
    »Nein. Ich habe dich mitgenommen,
weil ich Angst hatte, allein in der Wüste zu sein.«
    >Er hätte doch sagen können, er
täte es aus Liebe<, dachte sie, während sie durch den Ort schlenderten. Das
wäre die bessere Antwort gewesen.
     
    S ie parkten
den Wagen am Rand einer schmalen Straße aus gestampfter Erde. Took hatte sie angewiesen, immer zum Horizont zu schauen.
Die zwei Tage waren vergangen, sie würden ihn am Abend treffen - und sie freute
sich darauf.
    Aber es war noch Morgen. Und die
Tage in der Wüste waren lang.
    Sie schaute zum Horizont:
Bergzüge, die sich vor ein paar Millionen Jahren unvermittelt aufgetürmt hatten
und in einer langen Kette quer durch die Wüste verliefen. Obwohl diese Erdbeben
vor langer Zeit stattgefunden hatten, war heute noch zu sehen, wo die Erde
aufgebrochen war - der ebene Boden stieg sanft bis zu den Bergen an, bis in
einer bestimmten Höhe eine Art Wunde klaffte, aus der Felsen steil in den
Himmel ragten.
    Zwischen den Bergen und dem Wagen
lag das steinige Tal mit niedriger Vegetation, Dornenbüschen, Yuccas, Kakteen
- das Leben hielt sich trotzig in einem ihm feindlichen Umfeld. Inmitten der
Ebene hob sich ein riesiger weißer Fleck ab, der so groß war wie fünf
Fußballfelder. Er glitzerte in der Morgensonne wie ein Schneefeld.
    »Salz. Ein Salzsee.«
    Ja. Diese Wüste war sicher einst
auch einmal ein Meer gewesen. Einmal im Jahr flogen die Möwen hundert Kilometer
vom Pazifik bis hierher in die Wüste, wo sie eine Krabbenart fraßen, die mit
dem Beginn der Regenzeit auftauchte. Der Mensch vergisst seine Ursprünge, die
Natur niemals.
    »Er muss etwa fünf Kilometer
entfernt sein«, sagte Chris.
    Paulo sah auf seine Uhr. Es war
noch früh. Sie hatten zum Horizont gesehen, und der Horizont hatte ihnen einen
Salzsee gezeigt. Eine Stunde hin, eine Stunde zurück, ohne dass sie Angst zu
haben brauchten, dass die Sonne zu stark würde.
    Beide hängten sich ihre
Wasserflasche an den Gürtel. Paulo steckte Zigaretten und eine Bibel in eine
kleine Tasche. Wenn sie bei dem See ankämen, würde er vorschlagen, gemeinsam
einen zufällig ausgewählten Text zu lesen.
     
    Sie machten sich auf den Weg.
Chris behielt ihren Blick wenn immer möglich auf den Horizont gerichtet. Dabei
passierte etwas sehr Merkwürdiges: Sie fühlte sich größer, freier, als hätte
ihre Energie zugenommen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren bereute sie, sich
nicht mehr für Paulos >Konspiration< interessiert zu haben. Sie hatte
sich immer vorgestellt, dass es darin um schwierige Rituale ging, die nur
geübte und disziplinierte Menschen durchführen konnten.
    Sie gingen eine halbe Stunde lang,
ohne sich zu beeilen. Der Salzsee schien seine Lage verändert zu haben. Er war
immer gleich weit entfernt.
    Sie gingen eine weitere Stunde.
Sie hatten bestimmt schon fast sieben Kilometer zurückgelegt, aber der See war
nur ein ganz kleines bisschen näher gekommen. Es war inzwischen schon spät am
Morgen. Die Sonne brannte immer heißer.
    Paulo blickte zurück. Der Wagen
war immer noch zu sehen, ein winziger roter Fleck. Sie hatten sich also nicht
verlaufen. Doch etwas viel Wichtigeres fiel ihm auf.
    »Lass uns hier anhalten!«, bat er.
    Sie verließen den Weg und gingen
zu einem Felsen, der ein wenig Schatten gab. Sie mussten sich eng an ihn schmiegen,
da die Sonne fast senkrecht stand. In der Wüste gab es nur früh am Morgen oder
am Abend längere Schatten und auch nur bei den Felsen.
    »Wir haben uns verrechnet«, sagte
er.
    Chris war das auch schon
aufgefallen. Sie wunderte sich, da Paulo Entfernungen sonst immer richtig
schätzte.
     
    »Ich weiß, warum wir uns
verrechnet haben«, fuhr er fort. »Weil in der Wüste uns nichts erlaubt,
Vergleiche anzustellen. Wir sind es gewohnt, Entfernungen nach der Größe der
Dinge zu berechnen.
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