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Ciara

Ciara

Titel: Ciara
Autoren: Nicole Rensmann
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durchstreifte. Die Landschaft veränderte sich in jeder Nacht. Manchmal besuchte sie die dort lebenden Menschen, sprach mit ihnen, nahm an ihren Mahlzeiten teil. Doch in den letzten Wochen blieb sie lieber allein und schaute aus sicherer Entfernung dem bunten Treiben und dem eigenartigen Wachstum der Landschaft zu.
    Sie stoppte an einem Fenster, setzte sich auf den Sims und lauschte: »Wenn sie es nicht schafft, hat sich das Problem für uns erledigt, Arawn«, zischte Pwyll.
    »Morgane hat recht: Sie ist stark und wird kämpfen.«
    »Nicht nach dem, was ihr zugestoßen ist. Ihr Lebenswille schwindet mit jedem Atemzug. Sie sehnt sich nach ihrer Mutter, und sobald sie bei uns ist, werde ich dafür sorgen, dass sie keine Macht erlangen kann.«
    Arawn nickte, dennoch widersprach er: »Ich weiß, dass du ein starker Häuptling und Krieger bist. Stärke allein reicht hier jedoch nicht aus.« Er deckte einen Kristall mit einem schwarzen Stofftuch ab, um das Glühen zu verbergen, das darin pulsierte und den Raum erhellte. »Bedenke, du bist nicht in der Lage, sie zu töten und ihre Aufgabe zu übernehmen. Dafür gibt es andere. Also unterdrücke deinen Groll.«
    Wütend schlug Pwyll mit der Faust gegen die Wand. Er fletschte seine gelben Zähne und brüllte in der Sprache der Alten seinen Hass heraus. Arawn blieb unbeeindruckt.
    »Geh jetzt und gib Acht, dass dich niemand sieht. Vor allem nicht Morgane.«
    Pwyll schnaufte verächtlich, senkte seinen Kopf einige Zentimeter und stierte in die kalten Augen Arawns, in der Hoffnung, darin die Erlaubnis zu finden, seine Wut stillen zu dürfen. Aber die schwarzen Augen des Herrschers blieben unergründlich. Wie ein tollwütiger Bär trottete Pwyll aus dessen Domizil.
    Ciara folgte ihm leise.
    Um seiner Rachsucht Herr zu werden, durchstreifte der bullige Pwyll die Wälder auf der Suche nach einer verirrten Elfe, deren lieblich singende Kehle er zerquetschen könnte. Aber diese Wesen hielten sich gewöhnlich fern von den düsteren Abschnitten des Waldes, die Pwyll bevorzugte. Selbst einen Zyklopen oder ein anderes missgestaltetes Wesen, dessen Tod ihm für eine Weile Befriedigung hätte verschaffen können, stöberte er nicht auf.
    So kämpfte er mit dem Schwert gegen abgestorbene Äste und schlug mit seinen Fäusten auf Baustämme ein, bis seine Knöchel bluteten.
    Erst als er auf den schwarzen Fluss stieß, rastete er. Seine Wut brodelte wie ein Topf Hirschfett auf dem Feuer. Er rülpste lautstark und beobachtete mit Abscheu das am gegenüberliegenden Ufer erbaute Schloss Carbonek. Dort umgab sich Morgane mit schattenhaften Wesen. Beim Gedanken an die Magie beherrschende Frau schwoll sein Hass zu einem tödlichen Orkan an. In seiner Phantasie tötete er sie vor den Augen ihrer lächerlichen Untertanen und ihrer Tochter, die er sich abschließend vornehmen wollte. Verbrennen sollte sie – Stück für Stück –, und bevor jedes Körperteil das Gefühl völlig verloren hatte, würde er ihre Gliedmaßen abschneiden und sie den ewig hungrigen und entstellten Fomorii’ zum Verzehr vorwerfen.
    Ciara ertrug die Grausamkeiten, die so offen vor ihr lagen, als lese sie in Pwylls Geist, nicht länger und flatterte rasch davon. Mit der intensiven Betrachtung der grünen Bäume und farbenprächtigen Blumenwiesen, die sie überflog, versuchte sie die barbarischen Szenen zu verdrängen. Erst an Arawns Fenstersims ruhte sie sich erneut aus.
     
    Auf einem schlichten Holztisch lag der Bergkristall. Arawn hielt das Tuch noch in den Händen, mit dem er den Kristall zuvor abgedeckt hatte. Noch nie hatte Ciara einen so wunderschönen und einzigartigen Kristall gesehen. Er hatte die Größe eines zusammengerollten ausgewachsenen Igels. Die seltene Klarheit und die aus den Rundungen emporwachsenden, spitz zulaufenden und rechteckigen Kanten des Steins, in denen sich das einfallende Licht brach, verliehen seiner Umgebung eine regenbogenfarbene Aura.
    Der Herrscher der Anderwelt schaute in eine der rechteckigen Kantenflächen und richtete seine Aufmerksamkeit auf einen besonderen Teil der Welt, den Teil, den er nur in den Nächten des Samhain besuchte, wenn die Nebel sich lichteten und die Bewohner von Anderwelt auf der Erde wandelten.
    Er fixierte das Frettchen – es schlief friedlich auf dem Beifahrersitz, wo Paul es zurückgelassen hatte. Jetzt, da Arawn seine Gedanken auf den kleinen Marder lenkte, begann es zu zucken, als habe es einen pausenlosen Schluckauf. Aus seiner Schnauze rann Speichel,
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