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Ciara

Ciara

Titel: Ciara
Autoren: Nicole Rensmann
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über den Korridor und verschwand in einem der Verbandszimmer. Dort packte er sterile Kompressen, Kanülen und Schläuche zur Blutübertragung, Verbände und farbloses Desinfektionsmittel in einen kleinen Karton. Anschließend fuhr er mit dem Fahrstuhl in den Keller und ging in den Kühlraum, wo er oft nach stressigen Tagen Zuflucht suchte. Er entwendete zehn Blutkonserven, so viele wie nie zuvor, packte diese in eine graue Box, die das Blut bis zu zwei Stunden kühlen würde, stapelte den Karton mit dem Verbandsmaterial darauf und schlich unbemerkt aus dem Raum. Geräuschlos bewegte er sich den kahlen, fensterlosen, von Neonröhren beleuchteten Flur entlang und versteckte die Kartons unter einer Liege, die jemand dort zurückgelassen hatte. Bevor er den nächsten Raum betreten konnte, musste er klingeln und sich – nachdem er eingelassen worden war – ausweisen, obwohl er zu den bekannten Besuchern gehörte.
    »Hey, Paul! Alles klar?« Lars hatte Paul bei der Geburt seines ersten Kindes kennengelernt. Seitdem hatte er drei weitere gezeugt, die Paul ebenfalls mit entbunden hatte. Viele Nächte hatten sie im Labor verbracht und sich über die neuesten medizinischen Forschungen unterhalten. Doch ihre Freundschaft ging nicht über die Mauern des Krankenhauses hinaus. Obwohl Lars ihn schon häufiger zum Essen eingeladen hatte, lehnte Paul stets ab.
    Er hob die Hand. »Was machen die Zwerge?« Seine Nervosität vermochte er gut zu verbergen.
    »Die beiden Kleinsten haben die Windpocken und die Großen – na ja, kommen langsam in die Pubertät. Und Esther ist wieder schwanger. Das Baby kommt im Juli. Wir können doch wieder auf dich zählen?«
    »Na sicher. Glückwunsch.«
    Er ging an Lars vorbei, drehte sich noch einmal zu ihm um: »Grüß schön.«
    Schlendernd durchquerte er den Raum, an Tischen vorbei, die teils verlassen, teils von Laboranten besetzt waren. Manche grüßten kurz, andere konzentrierten sich vollends auf ihre Arbeit und schienen Pauls Anwesenheit nicht einmal wahrzunehmen. Am Ende des Labors öffnete er eine Stahltür und trat in den Kühlraum: sein Ziel. Unbeobachtet zog er einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und steckte ihn in das Schloss einer weiteren Tür aus bruchsicherem Glas. Als er sich für den Job als Arzt beworben hatte, galt sein Interesse in erster Linie den Erzeugnissen dieses Labors. An seinem ersten Tag hatte er einem Kollegen den Schlüssel entwendet, einen Abdruck angefertigt und das Original wenige Minuten später unbemerkt zurückgelegt.
    Leise zog er nun die Tür auf. Kühle Nebelschwaden umhüllten ihn. Zielstrebig griff er nach dem Serum.
    »Hey, was soll das?«
    Paul fuhr herum. Eine Ampulle rutschte ihm aus der Hand, geschickt fing er sie auf und ließ sie, zusammen mit zwei weiteren Ampullen, in seiner Hosentasche verschwinden. Dabei visierte er die braunen Augen eines Mannes an, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Seine Chance. »Sind Sie neu hier?«, erkundigte er sich freundlich.
    »Das schon, aber doch dazu befugt, Sie darüber zu informieren, dass dieser Schrank und vor allem der Inhalt in meinen Zuständigkeitsbereich fallen. Ich erinnere mich nicht, dass Sie einen Antrag gestellt hätten.«
    Paul räusperte sich: »Aber selbstverständlich habe ich das. Bitte schauen Sie in Ihrem Computer nach, da müssen die Daten drin sein. Es ist schon einige Tage her. Ich bin erst jetzt dazu gekommen, die Ampullen abzuholen.«
    »Das glaub ich nicht. Woher haben Sie überhaupt einen Schlüssel?« Der Mann trat ein Stück näher an Paul heran und versperrte ihm den Ausgang.
    Paul fixierte seine Augen und sprach ruhig auf ihn ein: »Ich bin mir sicher, dass sich der Irrtum aufklärt. Und wir uns einigen können …«
    Bevor Paul weiter auf den Mann einwirken konnte, krümmte sich dieser zusammen. Der massige Körper sackte zu Boden. Seine Gliedmaßen zuckten, als litte er unter einem schweren epileptischen Anfall, bis sich nach wenigen Atemzügen der Körper versteifte. Pauls Gewissen verbot ihm, den Sterbenden allein zu lassen. Während er Puls und Herzschlag kontrollierte und lediglich den Tod feststellte, arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren, um einen Weg zu finden, aus dieser Sache ohne weitere Schwierigkeiten herauszukommen. Schnell langte er ein zweites Mal in den Schrank, griff nach weiteren Ampullen, verteilte sie auf die Hosentaschen und schloss die Tür. Dann rief er: »Los, eine Trage. Hier ist jemand zusammengeklappt.« Eine schrille Glocke begann in seinem Kopf zu
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