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Ciara

Ciara

Titel: Ciara
Autoren: Nicole Rensmann
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aufbrachen. Wie ein Fötus krümmte sie sich auf dem Bett zusammen und umklammerte die Kette, die sie vor wenigen Wochen auf der Brust ihrer Mutter zurechtgerückt hatte, bevor deren toter Leib durch die Einäscherung sein körperliches Dasein endgültig verloren hatte.
     
    Da ihm der Straßenname, den er der Krankenakte seiner Patientin entnommen hatte, unbekannt erschien, tippte Paul die Anschrift in den Navigator ein. Er wunderte sich, dass der Bordcomputer nur eine Fahrt von etwas mehr als zehn Minuten errechnete.
    Auf dem Weg zu Ciara Duchas’ Wohnung grübelte er über die ungewöhnliche junge Frau nach, deren Name ihm rätselhaft vertraut klang. Obwohl er grundsätzlich versuchte, den Menschen, die ihm begegneten, freundlich und zuvorkommend, jedoch gefühlsneutral entgegenzutreten, weckte sie seinen Beschützerinstinkt. Noch wusste er nicht, ob sich daraus Komplikationen ergeben würden, aber – so beruhigte er sich selbst – zunächst kümmerte er sich lediglich um das Haustier einer einsamen Patientin.
    Neben dem Haustürschlüssel hatte er sich auch seine Lederjacke aus Ciaras Tüte genommen. Ein lieblicher Lavendelduft, den er als äußerst angenehm empfand, haftete am Kragen.
    Nach wenigen Kilometern forderte ihn die freundliche Stimme einer Unbekannten auf, von der Hauptstraße in eine Seitengasse und anschließend scharf rechts abzubiegen.
    »Sie haben Ihr Ziel erreicht«, ertönte es aus dem Lautsprecher. Paul bremste abrupt, starrte aus der Windschutzscheibe, kurbelte das Fenster herunter, spähte den Feldweg entlang und sah dann auf den Zettel, auf dem er die Adresse notiert hatte. Er stieg aus, lief ein Stück zurück, um den Namen auf dem Straßenschild abzulesen, das im Wind laut quietschend hin und her schwang. Die Buchstaben litten unter jahrzehntelangen Wettereinflüssen, die schwarze brüchige Farbe musste der Regen teilweise weggeschwemmt haben, was das Entziffern erschwerte, dennoch konnte Paul anhand der Stanzung den Namen ablesen: Er stimmte mit seiner Notiz überein.
    Grasflächen mit von der Sonne ausgedorrten Stellen, die jetzt im Winter dunkel aussahen, grenzten die ansteigende, unbefestigte Straße ein. Am Horizont entdeckte Paul schemenhaft einzelne Bäume, die ihm mit ihren kahlen Ästen zuzuwinken schienen. Er kniff die Augen zusammen, damit die tief stehende Sonne ihn nicht blendete.
    Nichts deutete darauf hin, dass in nächster Entfernung ein bewohnbares Haus stünde.
    Er schüttelte den Kopf, zuckte mit den Achseln und eilte zu seinem Auto zurück. Einen Kilometer weiter folgte er dem Weg nach rechts. Tatsächlich traf er nun auf eine Villa. Ungeschnittene Sträucher und Bäume wuchsen wild und hatten einen Teil des schmiedeeisernen Zaunes verschlungen. Efeu rankte in die zerbrochenen Fensterscheiben hinein, die vom Sturm beschädigt oder von einer Horde Jungs, die sich einer Mutprobe unterzogen hatten, mit Steinen eingeschmissen worden waren. Paul glaubte nicht, dass Ciara dort lebte. Er fuhr an Feldern und Wiesen vorbei, den langsam ansteigenden Feldweg entlang. Suchend schaute er sich um. Nachdem er den Gipfel erreicht hatte, steuerte er den Hügel hinab, geradewegs auf sein Ziel zu.
    Das einzige Haus in dieser einsamen Straße trug die Nummer elf und sollte somit Ciaras Heim sein. Ein dichter Nadelwald umfing das aus grauem Naturstein erbaute Gebäude, sodass es mit den beiden Türmchen links und rechts einem Schloss ähnelte.
    Er parkte seinen silberfarbenen BMW in der Einfahrt, stieg aus und würdigte die einzigartige Konstruktion des Hauses mit einem bewundernden Blick, bevor er an winterlich kahlen, von Farnen und Lebensbäumen eingefassten Beeten vorbei auf den Eingang zuging. Mit den filigranen Schnitzereien, in denen Paul Drachenköpfe und verschiedene keltische Symbole entdeckte, ähnelte die Tür einem hölzernen Portal zu einer anderen Welt.
    Sein Herz hämmerte gegen die Brust. Er strich sich über die Haare und hoffte insgeheim, dass der Schlüssel abbrach, damit er die herrschaftliche Villa nicht betreten musste. Erst als er diesen ins Schloss steckte, verspürte er eine seltsame Vertrautheit. Sorgfältig drehte er den Schlüssel herum, stieß die Tür auf, tastete nach links und fand sofort den Lichtschalter. Die elektrischen Kerzen eines großen Kronleuchters flammten auf und erhellten das Foyer. Paul zuckte zusammen, als sein Blick an einem Mann haften blieb, der im selben Augenblick das Haus betrat: Auf der gegenüberliegenden Seite hing ein großer
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