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Ciara

Ciara

Titel: Ciara
Autoren: Nicole Rensmann
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zurückgebunden.
    Eine klebrige Schweißschicht überzog Ciaras Haut, als sie endlich – nach beinahe einer Stunde – das Krankenhaus erreichte. Doch sie wollte noch nicht auf die Station gehen. Mehrere Bänke standen nebeneinander vor dem Eingangsbereich des Krankenhauses. Dahinter erstreckte sich eine Wiese, die mit Raureif überzogen war. Einzeln stehende Bäume bewegten ihr entlaubtes Haupt im Wind. Erschöpft setzte sich Ciara auf eine Bank. Bunte Aufkleber und aufgesprühte Graffiti bemühten sich, die teils abgesplitterte grüne Farbe zu verdecken. Die mit Messern eingeritzten Herzen und Schwüre ewiger Liebe auf der Sitzfläche neben Ciara verschwammen vor ihren Augen. Der hastig aus ihr herausbrechende Atem produzierte Rauchwolken, als versuche sie, ein Feuer zu entfachen. Ihr überhöhter Pulsschlag jagte das Blut durch den Körper. Sie zitterte.
    »Frau Duchas. Was machen Sie hier draußen? Es ist doch viel zu kalt.«
    Hölzern drehte Ciara den Oberköper und erkannte den Besitzer der Stimme: Doktor Philis eilte vom Parkplatz her auf sie zu. Ein dicker Norwegerpullover ersetzte die Jacke, khakifarbene Cargohose und Turnschuhe passten zur sportlichen Statur des Arztes. Besorgt schaute er Ciara an, setzte sich neben sie und nahm ihr die Tasche aus der Hand, die sie so fest umklammerte, als strahle der schmale Griff Wärme aus. Eine eisige Windbö durchkämmte das dichte braune Haar des Arztes und riss an Ciaras Zopf.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«
    Ciara antwortete nicht. Ihr Körper bebte vor Schüttelfrost. Sie spürte, wie sich ihre Pupillen weiteten; ihr Puls raste inzwischen so schnell, dass er in den Ohren rauschte, ihr Herz setzte aus und sie kippte auf der Bank zur Seite. Die linke Wange ruhte auf in das Holz geschnitzten kantigen Buchstaben: ZURÜCK ZUM URSPRUNG.
    Ruhe umspülte sie, wie Gischt einen gestrandeten Fisch, um ihn ins Meer zurückzuziehen. Die stummen Wellen ertränkten all die grausamen Geschehnisse und Verluste der letzten Wochen und zogen sie in die Tiefe des schwarzen und eiskalten Wassers.
     
    Ziellos wanderte sie durch den Wald, lauschte dem Zwitschern der Vögel und saugte den harzigen Geruch der Baumrinden auf, buntes Laub raschelte unter ihren Füßen. Jemand rief nach ihr. Ciara drehte sich suchend um und erspähte wenige Meter hinter sich ihre Mutter, die auf sie zugeeilt kam. Regungslos standen sich die Frauen gegenüber. Einen Wimpernschlag später spazierten sie Arm in Arm in einen Teil des Waldes, der eine beklemmende Ruhe ausstrahlte, als habe jemand mit einem Zauber die Kehlen aller Vögel durchtrennt. Zähe Bodennebel waberten zwischen den Baumstämmen und hefteten sich an ihre Fersen. Das Atmen fiel Ciara schwer. Sie wollte fragen, wohin sie gingen, aber ihre Stimmbänder versagten. Ihre Mutter führte sie über eine mit Gras bewachsene Anhöhe aus dem Wald hinaus. Den Hügel abwärts wies der dichte Rasen unterschiedlich große verbrannte Flecken auf, die bis zum Fuße, an dem sie nun stehen blieben, zu einem Ganzen zusammenwuchsen und das Gras vollständig verdrängten.
    Von dort beobachteten sie einen großen Mann. Er sprach von einem aus Holzlatten erbauten Podest zu einem Pulk von Menschen, die sich davor versammelt hatten.
    Sein langes graues Haar, in dem noch vereinzelte braune Strähnen zu erkennen waren, fiel ihm weit über die Schultern und zwirbelte sich an den Seiten mit seinem struppigen Barthaar zusammen.
    Ciara erkannte den Mann als Arawn, den Herrscher von Annwn, der keltischen Anderwelt. Dort, wo die Seelen laut keltischer Mythologie weiterlebten. Ein grenzenloser Ort, zu dem Ciara sich hinsehnte, sobald sie starb.
    War sie bereits tot?
    Sie vernahm die Worte des Mannes so klar, als stünde sie in der Menge.
    »Es sind Dinge in der irdischen Welt geschehen, die wir nicht vorhergesehen haben und somit nicht beeinflussen konnten. Doch nun müssen wir handeln, um Schlimmeres zu verhindern. Was schlagt ihr vor?«
    Betroffenes Schweigen blieb zunächst die einzige Antwort, es folgte ein Raunen, welches in einen lauten und wirren Redeschwall überging. Arawn hob seine Hände über den Kopf, breitete die Arme aus und murmelte unverständliche Worte. Die aufgeregte Meute um ihn herum verstummte. Als er nun sprach, hingen die Blicke der Untertanen an seinen schmalen, blutleeren Lippen: »Es hilft uns nicht weiter, wenn wir verzweifeln. Darum erwarte ich jetzt eure Vorschläge.«
    Ein Hüne trat aus der Menge hervor.
    »Pwyll, mein Häuptling. Bitte
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