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Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Titel: Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Autoren: Thomas Thiemeyer
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geschaffen und ein Stück weit war das immer noch so. Für Charlotte hingegen musste es sein, als habe man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Ihr bisheriges Leben – eine einzige große Lüge. Gewiss, Humboldt und Eliza hatten sie mit offenen Armen willkommen geheißen, aber das war kein Ersatz. Jedenfalls nicht in absehbarer Zukunft. Dafür saßen die Verletzungen zu tief.
    Trotzdem wünschte sich Oskar, sie würde ihm wieder mehr Aufmerksamkeit schenken. So, wie sie es früher getan hatte, als sie noch glaubten, Cousin und Cousine zu sein.
    Er seufzte und bemerkte im selben Augenblick, dass Lena noch immer dastand und ihn betrachtete.
    »Bitte entschuldige«, sagte er und strich über seine Stirn. »War gerade in Gedanken. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
    Lächelnd hielt sie zwei Paar Schuhe hoch. »Ich wollte meine neuen Sachen nachher deinem Vater vorführen und ich weiß nicht, welche Schuhe besser dazu passen.«
    »Zieh sie doch mal an.«
    Im Nu hatte sich Lena auf sein Bett gesetzt und zog das erste Paar an. Es waren flache braune Schuhe mit Schnürbändern. Sie lief ein paarmal auf und ab. »Und?«
    »Jetzt mal die anderen.«
    Das andere Paar war aus schwarzem Kalbsleder gefertigt und mit Haken und Ösen versehen. Außerdem hatten die Schuhe hohe Absätze.
    »Diese, ganz klar«, sagte Oskar. »Sie passen wunderbar zu dem grauen Rock und der roten Bluse. Jetzt noch das Jackett, eine schöne Halskette und ein paar Ohrringe, und die Männer Berlins liegen dir zu Füßen.«
    Lena kicherte. »Nun übertreib mal nicht.«
    »Nein, im Ernst«, sagte er. »Ich würde dich sofort um eine Verabredung bitten.«
    Augenblicklich fingen ihre Wangen wieder an zu glühen. »Dummkopf.«
    Sie kam auf ihn zu und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Vielen Dank, dass du mir geholfen hast.«
    Sie öffnete die Tür und ging hinaus in den Flur, wo sie sich noch einmal umdrehte. »Na dann bis gleich unten beim Essen.« Sie warf ihm eine Kusshand zu.
    »Ja, bis gleich.« Er winkte zurück. Etwas verwirrt stellte er fest, dass der Besuch Lenas in ihm das gleiche Gefühl erzeugte wie ein Glas Champagner. Irgendwie fühlte er sich so perlig und leicht.
    In diesem Augenblick kam Charlotte von oben herunter. Sie blieb stehen und schaute Lena mit hochgezogener Augenbraue hinterher. Schweigend.
    Oskar bemerkte den missbilligenden Blick und versuchte, den Ärger im Keim zu ersticken. »Ich musste ihr nur ein paar Tipps in Sachen Garderobe geben«, sagte er so sachlich wie möglich.
    »Ach ja?«
    »Es ging um die Schuhe. Welches Paar besser zu ihrem neuen Rock passt und so …«
    »Darin bist du also ein Fachmann?« Charlotte lächelte kühl. »Man lernt doch nie aus. Na, dann hoffe ich, dass du ihr zu den Flachen geraten hast. Die Hochhackigen, die sie eben anhatte, passen nämlich überhaupt nicht dazu.« Sie schickte sich an weiterzugehen, hielt dann jedoch noch einmal kurz inne und sagte in einer perfekten Imitation Lenas: »Na dann bis gleich unten beim Essen.« Sie warf ihm eine Kusshand zu, dann verschwand sie auf der Treppe ins Untergeschoss.
    Oskar blieb völlig verdattert stehen. Die Gedanken schwirrten in seinem Kopf wie Bienen in einem Korb. Sosehr er sich auch abmühte, er fand keinen tieferen Sinn in der Unterhaltung. Irgendwann gab er es auf, ging zurück in sein Zimmer und zog sich um. »Frauen«, murmelte er.

 
4
     
     
    Elizas Essen war, wie erwartet, köstlich: Hühnchen im Teigmantel, exotisches Gemüse und frittierte Kartoffeln. Dazu eine Joghurtsoße mit raffinierten Gewürzen. Außer Oskar hatten alle ihre neuen Sachen anbehalten und benahmen sich darin, als hätten sie an einem Benimmkurs von Knigge teilgenommen. Kleider machen Leute, hieß es nicht so? Diese Verräter. Oskar warf seinen Freunden vernichtende Blicke zu, doch sie bemerkten ihn gar nicht. Stattdessen unterhielten sie sich fröhlich, scherzten und plauderten und taten so, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, im neuen Zwirn beim Abendessen zu sitzen. Dabei hatten sie vor knapp zwei Jahren noch in Lumpen gehüllt auf der Straße gelebt.
    Humboldt schien zu gefallen, was er sah. Zumindest hielt er sich mit den üblichen spöttischen Kommentaren zurück. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er andere Dinge im Kopf hatte. Oskar fiel auf, dass er ziemlich geistesabwesend wirkte. Bestimmt war er in Gedanken bei seiner neuen Maschine. Oskar hätte zu gerne erfahren, was sein Vater da im Schuppen eigentlich trieb,
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