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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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waren, er berechnete den Preis der Musik und des Feuerwerks undsogar den des Hagels von ungeschältem Reis, mit dem wir auf dem Fest empfangen wurden. In der Mittagsmattigkeit machten die Jungvermählten die Runde im Innenhof. Bayardo San Román hatte sich mit uns angefreundet, er war, wie man damals sagte, unser Kneipenfreund geworden, und er schien sich an unserem Tisch wohl zu fühlen. Ángela Vicario, ohne Schleier und Kranz im durchgeschwitzten Atlaskleid, hatte auf einmal die Miene der verheirateten Frau aufgesetzt. Santiago Nasar rechnete und sagte zu Bayardo San Román, die Hochzeitskosten dürften sich bis zur Stunde auf etwa neuntausend Pesos belaufen. Offensichtlich fasste Ángela Vicario das als Unverfrorenheit auf. »Meine Mutter hat mich gelehrt, dass man vor fremden Leuten nicht von Geld spricht«, sagte sie zu mir. Bayardo San Román hingegen nahm es launig und sogar mit einer gewissen Selbstgefälligkeit auf.
    »Fast«, sagte er, »aber wir fangen ja erst an. Zum Schluss wird es mehr oder weniger das Doppelte sein.«
    Santiago Nasar nahm sich vor, dies bis zum letzten Centavo nachzurechnen, und sein Leben reichte gerade dazu aus. In der Tat, anhand der endgültigen Ziffern, die er am nächsten Tag im Hafen, fünfundvierzig Minuten bevor er starb, von Cristo Bedoya geliefert bekam, wies er nach, dass Bayardo San Románs Prognose gestimmt hatte.
    Ich hatte eine ziemlich wirre Erinnerung an das Fest, bevor ich beschloss, es stückweise aus fremden Erinnerungen wiederherzustellen. Jahrelang war in meinem Elternhaus davon die Rede gewesen, dassmein Vater zu Ehren der Neuvermählten wieder auf seiner Jugendgeige gespielt, dass meine Schwester, die Nonne, in ihrer Tracht einer Klosterpförtnerin einen Merengue getanzt, dass Doktor Dionisio Iguarán, ein Vetter meiner Mutter, durchgesetzt hatte, dass man ihn auf dem offiziellen Schiff mitnahm, um am nächsten Tag, wenn der Bischof kam, nicht mehr da zu sein. Im Verlauf der Nachforschungen für diese Chronik trug ich mehrere Nebensächlichkeiten zusammen, unter ihnen komische Erinnerungen an Bayardo San Románs Schwestern, deren Samtkleider mit den großen, von goldenen Klemmen am Rücken gehaltenen Schmetterlingsflügeln größere Aufmerksamkeit erregten als der Federbusch und die mit Kriegsorden gepanzerte Brust ihres Vaters. Viele wussten, dass ich Mercedes Barcha, die damals gerade die Volksschule beendet hatte, im Festtaumel einen Heiratsantrag machte, woran sie mich dann auch erinnerte, als wir vierzehn Jahre später heirateten. Das eindringlichste Bild, das ich von jenem unliebsamen Sonntag für immer bewahrt habe, war der alte Poncio Vicario, der allein auf seinem Hocker mitten im Innenhof saß. Man hatte ihn, vielleicht in der Annahme, es sei der Ehrenplatz, dorthin gesetzt, und die Gäste stießen mit ihm zusammen, verwechselten ihn mit jemand anderem, rückten ihn beiseite, damit er nicht störte, und er bewegte sein schneeweißes Haupt nach allen Seiten mit dem unsicheren Gesichtsausdruck eines jüngst Erblindeten, der Fragen beantwortete, die nicht ihm galten, und flüchtige Begrüßungen erwiderte, die niemand an ihn richtete, glücklich in seinem Kreis des Vergessens, mit dem von Stärke steifenHemd und dem Gujakspazierstock, den man ihm für das Fest gekauft hatte.
    Der offizielle Teil endete um sechs Uhr abends, als die Ehrengäste sich verabschiedeten. Das Schiff fuhr hell erleuchtet ab und hinterließ eine Schleppe von Pianolawalzern, und einen Augenblick trieben wir über einem Abgrund der Ungewissheit, bis wir uns gegenseitig wiedererkannten und ins Festgewoge eintauchten. Kurz darauf erschienen die Neuvermählten im Automobil, das sich mit heruntergeklapptem Verdeck mühsam seinen Weg durch das Gewühl bahnte. Bayardo San Román ließ Feuerwerkskörper knallen, trank Branntwein aus den Flaschen, die ihm aus der Menge gereicht wurden, und stieg mit Ángela Vicario aus dem Wagen, um sich in den Rundtanz der Cumbiamba einzureihen. Zuletzt befahl er, wir sollten auf seine Rechnung weitertanzen, solange unser Leben reichte, und führte seine verängstigte Gemahlin in das Haus ihrer Träume, in dem der Witwer de Xius glücklich gewesen war.
    Das Volksfest löste sich gegen Mitternacht in einzelne feiernde Grüppchen auf, und nur Clotilde Armentas Laden an der einen Seite der Plaza blieb geöffnet. Santiago Nasar und ich gingen mit meinem Bruder Luis Enrique und Cristo Bedoya zu María Alejandrina Cervantes’ Haus der Barmherzigkeiten. Dort
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