Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
ganz anderes war, einem Mann die Hand zu reichen, der befohlen hatte, Gerineldo Márquez von hinten zu erschießen.« Als er mit seinem weißen Hut aus dem Fenster des Automobils winkte, erkannten ihn alle von den berühmten Bildern her. Er trug einen weizenfarbenen Leinenanzug, Korduanlederstiefel mit Kreuzschnürung, auf dem Nasenrücken einen goldgefassten Zwicker mit einem Goldkettchen, das im Knopfloch seiner Weste befestigt war. Er trug die Tapferkeitsmedaille am Rockaufschlag und hatte einen Stock, in dessen Knauf das Landeswappen geschnitzt war. Er stieg als Erster aus dem vom glühenden Staub unserer schlechten Straßen bedeckten Automobil, aber es hatte genügt, ihn auf dem Fahrersitz zu sehen, damit alle Welt wusste, dass Bayardo San Román heiraten konnte, wen immer er wollte.
    Es war Ángela Vicario, die ihn nicht heiraten wollte. »Er war mir zu sehr Mann«, meinte sie zu mir. Außerdem hatte Bayardo San Román nicht einmal versucht, sie zu erobern, sondern einfach die Familie mitseinem Charme bezaubert. Ángela Vicario vergaß nie jenen grauenvollen Abend, an dem sich ihre Eltern und älteren Schwestern samt Ehemännern im Esszimmer versammelt hatten und ihr die Verpflichtung auferlegten, einen Mann zu heiraten, den sie kaum gesehen hatte. Die Zwillinge hielten sich abseits. »Für uns war all das Weiberkram«, sagte Pablo Vicario zu mir. Das ausschlaggebende Argument der Eltern war, dass eine Familie, die ihre Würde im Sichbescheiden hatte finden müssen, nicht das Recht hatte, diese Gabe des Schicksals zu verschmähen. Ángela Vicario wagte lediglich, auf einen Nachteil hinzuweisen: die fehlende Liebe, doch ihre Mutter machte den Einwand mit einem einzigen Satz zunichte:
    »Auch Liebe lässt sich lernen.«
    Anders als die Verlobungen jener Zeit, die sich lang hinzogen und überwacht wurden, dauerte die ihre infolge von Bayardo San Románs Drängen nur vier Monate. Sie war nur deshalb nicht noch kürzer, weil Pura Vicario forderte, dass das Ende der Familientrauer abgewartet werde. Dank der unwiderstehlichen Art, mit der Bayardo San Román die Dinge regelte, stellte sich kein unangenehmer Zeitdruck ein. »Eines Abends fragte er mich, welches Haus mir am besten gefiele«, erzählte mir Ángela Vicario. »Und ich antwortete, ohne zu wissen, was es damit auf sich hatte, das hübscheste Haus des Dorfes sei das Landhaus des Witwers de Xius.« Ich hätte das Gleiche gesagt. Es lag auf einem vom Wind gefegten Hügel, und von der Terrasse sah man das grenzenlose Paradies der mit maulbeerfarbenen Anemonen bedeckten Sümpfe, und an klaren Sommertagen konnte man sogar denHorizont der Karibik und die Vergnügungsdampfer von Cartagena de Indias erkennen. Am selben Abend ging Bayardo San Román in den Gesellschaftsklub und setzte sich an den Tisch des Witwers de Xius, um eine Partie Domino mit ihm zu spielen.
    »Witwer«, sagte er zu ihm. »Ich kaufe Ihnen Ihr Haus ab.«
    »Das Haus ist nicht zu verkaufen«, sagte der Witwer.
    »Ich kaufe es mit dem gesamten Inhalt.«
    Der Witwer de Xius erklärte mit altmodischer Wohlerzogenheit, die Gegenstände des Hauses seien von seiner Frau in einem langen entsagungsvollen Leben gekauft worden und daher für ihn nach wie vor ein Stück von ihr. »Er sprach aus tiefstem Herzen«, sagte mir Doktor Dionisio Iguarán, der mit den beiden gespielt hatte. »Ich war sicher, er wäre lieber gestorben, als ein Haus zu verkaufen, in dem er über dreißig Jahre lang glücklich gewesen war.« Auch Bayardo San Román verstand seine Beweggründe.
    »Einverstanden«, sagte er. »Dann verkaufen Sie mir das Haus leer.«
    Doch der Witwer wehrte sich bis zum Ende der Dominopartie. Nach drei Abenden kehrte Bayardo San Román besser gewappnet an den Dominotisch zurück.
    »Witwer«, begann er wiederum. »Wieviel kostet das Haus?«
    »Es hat keinen Preis.«
    »Nennen Sie irgendeinen.«
    »Ich bedaure, Bayardo«, sagte der Witwer, »ihr jungen Leute versteht nichts von Herzensbedürfnissen.«

    Bayardo San Román legte keine Denkpause ein.
    »Sagen wir fünftausend Pesos«, sagte er.
    »Spielen Sie sauber«, erwiderte der Witwer mit wachsamer Würde. »Dieses Haus ist nicht so viel wert.«
    »Zehntausend«, sagte Bayardo San Román. »Gleich bar auf die Hand, ein Schein auf dem anderen.«
    Der Witwer blickte ihn mit tränenfeuchten Augen an. »Er weinte vor Wut«, sagte mir Doktor Dionisio Iguarán, der nicht nur Arzt, sondern auch Literat war. »Stell dir vor: eine so hohe Summe in Reichweite, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher