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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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Würde.
    »Wir haben ihn mit Absicht getötet«, sagte Pedro Vicario, »aber wir sind unschuldig.«
    »Vielleicht vor Gott«, sagte Pater Amador.
    »Vor Gott und vor den Menschen«, sagte Pablo Vicario. »Es war eine Sache der Ehre.«
    Mehr noch: Bei der Rekonstruktion des Tathergangs heuchelten sie eine weit gnadenlosere Erbitterung als wirklich vorhanden, so dass die von den Messerstichen zersplitterte Haupttür von Plácida Lineros Haus schließlich mit öffentlichen Geldern instand gesetzt werden musste. Im Zuchthaus von Riohacha, in dem sie drei Jahre auf den Prozess warteten, weil sie die Kaution für eine vorläufige Freilassungnicht bezahlen konnten, erinnerten sich die ältesten Häftlinge noch an die Umgänglichkeit und den Gemeinschaftssinn der Zwillinge, hatten aber nie das geringste Anzeichen von Reue an ihnen bemerkt. Trotzdem schien festzustehen, dass die Brüder Vicario alles getan hatten, um Santiago Nasar nicht unverzüglich und ohne Aufsehen zu töten, vielmehr hatten sie alles nur Erdenkliche getan, um von ihrer Tat abgehalten zu werden, und waren gescheitert.
    Nach dem, was sie mir Jahre später erzählten, hatten sie ihn zuerst bei María Alejandrina Cervantes gesucht, wo sie bis zwei Uhr mit ihm zusammen gewesen waren. Diese Angabe wurde wie viele andere nicht ins Ermittlungsprotokoll aufgenommen. Tatsächlich war Santiago Nasar zu der Zeit, als die Zwillinge ihn angeblich dort gesucht hatten, nicht mehr da, weil wir zu einem Serenadenrundgang aufgebrochen waren. Aber es stimmt gar nicht, dass sie dort aufgetaucht sind. »Sie wären doch hier nie wieder herausgekommen«, sagte María Alejandrina Cervantes zu mir, und da ich sie so gut kannte, zweifelte ich das nie an. Stattdessen warteten die beiden im Laden der Clotilde Armenta auf ihn, wo, wie sie wussten, die halbe Welt vorbeikommen würde, aber nicht Santiago Nasar. »Sonst war ja nichts mehr offen«, erklärten sie dem Untersuchungsrichter. »Früher oder später musste er dort drüben rauskommen«, sagten sie zu mir, nachdem sie freigesprochen worden waren. Dabei wusste jedermann, dass der Haupteingang von Plácida Lineros Haus auch tagsüber von innen verriegelt war und dass Santiago Nasar stets die Schlüssel des hinteren Eingangs bei sich trug. Dort ging er in der Tat hinein,als er nach Hause kam, während die Zwillinge Vicario ihn bereits seit über einer Stunde auf der anderen Seite erwarteten, und dass er später durch die Haustür zur Plaza herauskam, um zum Empfang des Bischofs zu gehen, war so unerklärlich, dass auch der Untersuchungsrichter es nicht begriff.
    Es hat nie einen so oft angekündigten Tod gegeben. Nachdem die Schwester ihnen den Namen offenbart hatte, gingen die Zwillinge Vicario in den Schuppen des Schweinestalls, wo sie die Schlachterwerkzeuge verwahrten, und wählten die beiden besten Messer: eines zum Zerlegen, zehn Zoll lang und zweieinhalb breit, und ein anderes zum Ausnehmen, sieben Zoll lang und eineinhalb breit. Sie wickelten die Messer in einen Lappen und gingen zum Schleifen auf den Fleischmarkt, wo gerade die ersten Verkaufsstände aufmachten. Es gab so früh nur wenige Kunden, dennoch erklärten zweiundzwanzig Personen, sie hätten alles gehört, was die Brüder gesagt hatten, und meinten übereinstimmend, diese hätten es förmlich darauf angelegt, gehört zu werden. Faustino Santos, ein mit ihnen befreundeter Schlachter, sah sie um drei Uhr zwanzig hereinkommen, als er gerade seinen Tisch mit Innereien aufgebaut hatte, und verstand nicht, warum sie an einem Montag kamen, noch dazu so früh und überdies in ihren Hochzeitsanzügen aus dunklem Tuch. Er war gewohnt, sie freitags zu sehen, jedoch etwas später und mit den Lederschürzen, die sie zum Schlachten umbanden. »Ich dachte, sie seien so betrunken«, sagte Faustino Santos zu mir, »dass sie sich nicht nur in der Stunde, sondern auch im Tag geirrt hatten.« Er erinnerte sie daran, dass es Montag war.

    »Wer weiß das nicht, du Dummkopf«, entgegnete Pablo Vicario freundlich. »Wir sind nur gekommen, um unsere Messer zu schleifen.«
    Sie schärften sie am drehbaren Schleifstein, so wie sie es immer taten: Pedro hielt die beiden Messer abwechselnd an den Stein, und Pablo bediente die Kurbel. Gleichzeitig redeten sie mit den anderen Fleischern über das phantastische Hochzeitsfest. Einige beschwerten sich darüber, nicht ihren Anteil Kuchen erhalten zu haben, obwohl sie doch Berufskollegen waren, und die Zwillinge versprachen, ihnen später
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