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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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wie ein Stierkalb von sich und versuchte, den Brüdern den Rücken zukehren. Pablo Vicario, der mit dem krummen Messer links von ihm stand, versetzte ihm jetzt den einzigen Stich in die Lende, ein Blutstrahl schoss heraus und bespritzte Pablos Hemd. »Ich roch wie er«, sagte er zu mir. Dreimal tödlich verwundet, drehte Santiago Nasar ihnen von neuem die Brust zu, lehnte sich mit dem Rücken an die Tür seiner Mutter, bot keinerleiWiderstand, als wolle er nur dabei helfen, dass sie ihm zu zweit ein Ende bereiteten. »Er schrie kein weiteres Mal«, sagte Pedro Vicario vor dem Untersuchungsrichter. »Im Gegenteil: Es kam mir vor, als lache er.« Dann stachen beide weiter gegen die Tür auf ihn ein, abwechselnd und mit leichter Hand, und schwammen dabei in dem ruhigen, leuchtenden Gewässer, das sie jenseits der Angst fanden. Sie hörten nicht die Schreie des ganzen Dorfes, das über sein eigenes Verbrechen entsetzt war. »Ich fühlte mich wie auf einem dahinrasenden Pferd«, erklärte Pablo Vicario. Doch beide erwachten plötzlich zur Wirklichkeit, als sie erschöpft waren, und trotzdem kam es ihnen so vor, als würde Santiago Nasar nie zusammenbrechen. »Scheiße, Vetter«, sagte Pablo Vicario zu mir, »du kannst dir nicht vorstellen, wie schwierig es ist, einen Menschen zu töten!« Um ein für alle Mal Schluss zu machen, zielte Pedro Vicario auf sein Herz, suchte es aber gleich neben der Achselhöhle, wo es die Schweine haben. In Wirklichkeit fiel Santiago Nasar nicht, weil sie ihn mit ihren Messern an die Tür nagelten. Verzweifelt versetzte Pablo Vicario ihm einen waagerechten Schnitt in den Bauch, und die gesamten Eingeweide platzten heraus. Pedro Vicario hatte das Gleiche vorgehabt, aber vor Grauen zuckte ihm die Hand weg, und er traf ihn nur am Schenkel. Santiago Nasar blieb noch einen Augenblick an die Tür gelehnt, dann sah er sein eigenes Gedärm in der Sonne, sauber und blau, und fiel auf die Knie.
    Nachdem sie in den Schlafzimmern nach ihm gerufen und, ohne zu wissen, woher, andere Schreie, die nicht die seinen waren, gehört hatte, trat PlácidaLinero an das auf die Plaza gehende Fenster und sah die Zwillinge Vicario zur Kirche laufen. Dicht auf den Fersen folgten ihnen Yamil Shaium mit seiner Tigerflinte und ein paar unbewaffnete Araber, und Plácida Linero dachte, die Gefahr sei vorüber. Dann trat sie auf den Schlafzimmerbalkon und sah Santiago Nasar vor der Tür, er lag mit dem Gesicht im Staub und versuchte, sich aus dem eigenen Blut zu erheben. Er richtete sich schräg auf, und begann wie halluzinierend zu gehen, hielt dabei die heraushängenden Eingeweide in den Händen. Er legte mehr als hundert Meter zurück, um das ganze Haus herum, bis zur Küchentür. Er war noch klar genug im Kopf, um nicht über die Straße zu gehen, was ein Umweg war, sondern kam durch das Nebenhaus herein. Poncho Lanao, seine Frau und seine fünf Kinder hatten nicht bemerkt, was zwanzig Schritt vor ihrer Tür geschehen war. »Wir hörten das Geschrei«, sagte die Frau zu mir, »aber wir dachten, es sei das Fest für den Bischof.« Sie saßen gerade beim Frühstück, als sie Santiago Nasar blutüberströmt mit der Traube seiner Eingeweide in den Händen hereinkommen sahen. Poncho Lanao sagte zu mir: »Dieser schreckliche Gestank nach Scheiße, den habe ich nie vergessen können.« Doch Argénida Lanao, die älteste Tochter, erzählte, Santiago Nasar sei so aufrecht gegangen wie immer, mit wohlbemessenem Schritt, und sein Sarazenengesicht mit dem wirr gelockten Haar sei schöner gewesen denn je. Als er am Tisch vorbeikam, lächelte er ihnen zu und ging durch die Schlafzimmer zum hinteren Ausgang des Hauses. »Wir waren starr vor Entsetzen«, sagte Argénida Lanao zu mir. Meine Tante Wenefrida Márquez schuppte gerade einenFisch im Hof ihres Hauses auf der anderen Seite des Flusses und sah ihn die Treppe der alten Mole hinuntersteigen und festen Schritts auf sein Haus zugehen.
    »Santiago, mein Junge«, schrie sie ihm zu. »Was ist mit dir!»
    Santiago Nasar erkannte sie.
    »Sie haben mich getötet, Fräulein Wene«, sagte er. Er stolperte auf der letzten Stufe, richtete sich aber sofort wieder auf. »Er war sogar so umsichtig und klopfte mit der Hand die Erde ab, die an den Därmen haften geblieben war«, sagte meine Tante Wene zu mir. Dann betrat er sein Haus durch die Hintertür, die seit sechs Uhr offenstand, und fiel vornüber in die Küche.

Das Buch
    In einem Dorf an der kolumbianischen Karibikküste feiert Bayardo
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