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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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zurückgekehrt war. »Sie sahen aus wie zwei Kinder«, sagte sie zu mir. Und diese Überlegung erschreckte sie, denn sie hatte schon immer gemeint, dass nur Kinder zu allem fähig sind. Und so richtete sie die Gerätschaften für den Milchverkauf her und ging ihren Mann wecken, um ihm zu erzählen, was sich im Laden abspielte. Don Rogelio de la Flor hörte ihr im Halbschlaf zu.
    »Sei nicht blöd«, sagte er zu ihr, »die beiden töten doch keinen, und schon gar nicht einen Reichen.«
    Als Clotilde Armenta in den Laden zurückkehrte, unterhielten die Zwillinge sich mit dem Polizisten Leandro Pornoy, der wegen der Milch für den Bürgermeister gekommen war. Sie hörte nicht, was geredet wurde, schloss jedoch aus dem Blick, den er beim Weggehen auf die Messer warf, dass sie ihm etwas von ihrem Vorhaben angedeutet hatten.
    Oberst Lázaro Aponte war kurz vor vier aufgestanden. Er beendete gerade seine Rasur, als der Polizist Leandro Pornoy ihm die Absichten der Brüder Vicario offenbarte. Der Oberst hatte in der vergangenen Nacht so viel Streit unter Freunden geschlichtet, dass er es mit einem weiteren nicht eilig hatte. Er kleidete sich in aller Ruhe an, band sich die Fliege mehrmals, bis sie makellos saß, und hängte sich für den Empfang des Bischofs das Skapulier der Marienkongregationum den Hals. Während er eine mit Zwiebelringen garnierte geschmorte Leber zum Frühstück aß, erzählte ihm seine Frau höchst erregt, Bayardo San Román habe Ángela Vicario zurückgeschickt, aber er nahm die Sache nicht so ernst.
    »Mein Gott«, scherzte er, »was wird der Bischof denken!«
    Bevor er aber sein Frühstück beendet hatte, erinnerte er sich an das, was ihm die Ordonnanz gerade gesagt hatte, brachte die beiden Nachrichten miteinander in Verbindung und entdeckte sogleich, dass sie wie zwei Stücke eines Puzzles zusammenpassten. Er machte sich auf den Weg zur Plaza, ging durch die Straße des neuen Hafens, deren Häuser sich wegen der Ankunft des Bischofs zu beleben begannen. »Ich bin mir ganz sicher, dass es fast fünf war und zu regnen begann«, sagte Oberst Lázaro Aponte zu mir. Unterwegs hielten ihn drei Leute an und erzählten ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit, die Brüder Vicario warteten auf Santiago Nasar, um ihn zu töten, nur eine Person konnte ihm allerdings sagen wo.
    Er stieß im Laden der Clotilde Armenta auf die beiden. »Als ich sie sah, dachte ich, sie hätten nur Sprüche geklopft«, sagte er mir mit seiner höchst persönlichen Logik, »denn sie waren nicht so betrunken, wie ich geglaubt hatte.« Er fragte sie nicht einmal über ihre Absichten aus, sondern nahm ihnen die Messer ab und schickte sie schlafen. Er behandelte sie mit der gleichen Selbstgefälligkeit, mit der er die Warnung seiner Frau übergangen hatte.
    »Denkt doch mal«, sagte er zu ihnen, »was soll nurder Bischof sagen, wenn er euch in diesem Zustand antrifft!«
    Sie gingen fort. Die Leichtfertigkeit des Bürgermeisters war für Clotilde Armenta eine weitere Enttäuschung, meinte sie doch, er hätte die Zwillinge verhaften müssen, bis die Sache geklärt war. Oberst Aponte zeigte ihr die Messer als schlagendes Argument.
    »Jetzt können sie keinen mehr töten«, sagte er.
    »Darum geht es nicht«, sagte Clotilde Armenta. »Es geht darum, die armen Burschen von der schrecklichen Verpflichtung zu befreien, die auf ihren Schultern lastet.«
    Sie hatte nämlich etwas begriffen. Sie war sicher, dass die Brüder Vicario weniger erpicht darauf waren, das Todesurteil zu vollstrecken, als jemanden zu finden, der ihnen den Gefallen tat, sie daran zu hindern. Doch Oberst Aponte war mit sich im Reinen. »Man nimmt niemand auf Verdacht fest«, sagte er. »Jetzt gilt es, Santiago Nasar zu warnen, und dann frohes Neues Jahr.«
    Clotilde Armenta sollte sich immer daran erinnern, dass Oberst Aponte in seiner behäbigen Art irgendwie einen unglücklichen Eindruck gemacht hatte, mir dagegen war er als ein durchaus glücklicher Mensch vorgekommen, wenn auch ein wenig verstört durch die einsame Ausübung des Spiritismus, den er in einem Fernkurs erlernt hatte. Sein Verhalten an jenem Montag war der endgültige Beweis für seine Leichtfertigkeit. Tatsächlich dachte er nicht mehr an Santiago Nasar, bis er ihn am Hafen sah, und da beglückwünschte er sich dazu, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

    Die Brüder Vicario hatten mehr als zwölf Personen, die zum Milchkauf gekommen waren, von ihrer Absicht erzählt, und noch vor sechs Uhr
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