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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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und zwei Walzerorchester, die weder mit den örtlichen Kapellen noch mit den zahlreichen Papayeras und Akkordeongruppen harmonisierten, die vom Lärm des Festes angelockt worden waren.
    Die Familie Vicario wohnte in einem bescheidenen Haus mit Backsteinmauern und einem Palmendach mit zwei Gauben, in denen im Januar die Schwalben nisteten. Es hatte eine fast vollständig mit Blumentöpfen besetzte vordere Terrasse und einen geräumigen Patio mit Obstbäumen und frei herumlaufenden Hühnern. Im hinteren Teil des Hofs betrieben die Zwillinge eine Schweinezucht mit Schlachtstein und Zerlegetisch, eine nützliche häusliche Einnahmequelle, seit Poncio Vicario das Augenlicht verloren hatte. Das Geschäft hatte Pedro Vicario begonnen, doch als dieser zum Militärdienst einrückte, lernte auch sein Zwillingsbruder das Metzgerhandwerk.
    Das Innere des Hauses war kaum groß genug für seine Bewohner. Daher versuchten die älteren Schwestern, ein Haus zu leihen, als sie merkten, welches Ausmaß das Fest annehmen würde. »Stell dir vor«, sagte Ángela Vicario zu mir, »sie hatten an Plácida Lineros Haus gedacht, doch gottlob versteiften sich meine Eltern auf ihren alten Grundsatz: Entweder unsere Töchter heiraten in unserem Schweinekoben, oder sie heiraten nicht.« So frischte man die ursprüngliche gelbe Farbe des Hauses auf, brachte dieTüren in Ordnung, die Fußböden wurden repariert und das Haus so würdig wie möglich für eine derart aufwendige Hochzeit hergerichtet. Die Zwillinge verfrachteten die Schweine an einen anderen Ort und kalkten den Schweinestall weiß, doch es war klar, dass trotzdem nicht genug Platz sein würde. Schließlich entfernten die Eltern auf Bayardo San Románs Betreiben den Hofzaun, baten die Nachbarn, ihre Häuser für den Tanz zur Verfügung zu stellen, und bauten zum Bewirten der Gäste Schreinertische im Schatten der Tamarinden auf.
    Den einzigen unvorhergesehenen Zwischenfall verursachte der Bräutigam am Morgen der Hochzeit, denn er kam zwei Stunden zu spät, um Ángela Vicario abzuholen, die sich geweigert hatte, das Brautkleid anzuziehen, solange sie ihn nicht im Haus sah. »Stell dir vor«, sagte sie zu mir, »ich hätte mich sogar gefreut, wenn er nicht gekommen wäre, niemals jedoch, wenn er mich angekleidet hätte sitzen lassen.« Ihre Vorsicht schien natürlich, denn es gab für eine Frau keine größere öffentliche Schmach, als im Brautkleid versetzt zu werden. Die Tatsache aber, dass Ángela Vicario es wagte, Schleier und Orangenblüten anzulegen, ohne Jungfrau zu sein, sollte später als Entweihung der Reinheitssymbole gedeutet werden. Meine Mutter war die Einzige, die einen Mutbeweis darin sah, dass Ángela Vicario ihre gezinkten Karten ohne Rücksicht auf Verluste ausgespielt hatte. »Zu jener Zeit«, erklärte sie mir, »verstand Gott diese Dinge.« Hingegen weiß bis heute niemand, mit welchen Karten Bayardo San Román spielte. Von dem Augenblick an, da er schließlich in Frack und Zylinder erschien, biser sich dann mit dem Geschöpf seiner Qualen vom Ball schlich, bot er das vollkommene Bild des glücklichen Bräutigams.
    Ebenso wenig hat man erfahren, mit welchen Karten Santiago Nasar spielte. Cristo Bedoya, mein Bruder Luis Enrique und ich waren die ganze Zeit in der Kirche und auf dem Fest mit ihm zusammen gewesen, und keiner von uns bemerkte auch nur die geringste Veränderung in seinem Verhalten. Ich habe das wieder und wieder beteuern müssen, denn niemand wollte glauben, dass wir vier, die wir gemeinsam aufgewachsen waren, dieselbe Schule besucht und zur selben Ferienbande gehört hatten, ein Geheimnis und noch dazu ein so großes Geheimnis nicht geteilt hätten.
    Santiago Nasar war ein Mann für Feste, und seinen größten Genuss erlebte er am Vorabend seines Todes, als er die Kosten der Hochzeit ausrechnete. Er schätzte, dass in der Kirche Blumenschmuck im Wert von vierzehn Beerdigungen erster Klasse aufgewendet worden war. Diese Deutung sollte mich noch Jahre lang verfolgen, denn Santiago Nasar hatte mir oft gesagt, der Geruch von Blumen in geschlossenen Räumen stehe für ihn in unmittelbarer Beziehung zum Tod, was er an jenem Tag beim Betreten des Gotteshauses wiederholte. »Ich will keine Blumen auf meiner Beerdigung«, sagte er zu mir, ohne zu ahnen, dass ich am nächsten Tag dafür würde sorgen müssen, dass es keine gab. Auf dem Weg von der Kirche zum Haus der Vicarios stellte er die Kosten der bunten Girlanden zusammen, mit denen die Straßen geschmückt
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