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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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allein aus Gefühlsduselei nein sagen zu müssen.« Dem Witwer de Xius versagte die Stimme, aber er schüttelte ohne ein Zögern den Kopf.
    »Dann tun Sie mir einen letzten Gefallen«, sagte Bayardo San Román. »Warten Sie hier fünf Minuten auf mich.«
    Fünf Minuten später kehrte er tatsächlich mit den silberbeschlagenen Reisetaschen zum Gesellschaftsklub zurück und legte zehn Bündel zu je Tausend auf den Tisch, noch in den von der Staatsbank bedruckten Banderolen. Der Witwer de Xius starb zwei Jahre später. »Er starb daran«, sagte Doktor Dionisio Iguarán. »Er war gesünder als wir, aber wenn man ihn abhorchte, hörte man die Tränen in seinem Herzen tropfen.« Denn er hatte nicht nur das Haus mit dem ganzen Inhalt verkauft, sondern Bayardo San Román auch noch bitten müssen, nach und nach zu zahlen, weil ihm nicht einmal zum Trost eine Truhe blieb, um so viel Geld aufzubewahren.
    Niemand hätte gedacht und niemand hatte behauptet, dass Ángela Vicario nicht Jungfrau sei. Manwusste von keinem früheren Verehrer, und sie war mit ihren Schwestern unter der eisernen Obhut einer strengen Mutter aufgewachsen. Noch zwei Monate vor der Hochzeit erlaubte Pura Vicario ihr nicht, allein mit Bayardo San Román das Haus zu besichtigen, in dem die beiden wohnen würden, vielmehr begleiteten sie und der blinde Vater die Tochter dorthin, um über ihre Ehre zu wachen. »Ich bat Gott einzig und allein darum, dass er mir den Mut geben möge, mich zu töten«, sagte Ángela Vicario zu mir. »Aber er hat ihn mir nicht gegeben.« Sie war so verstört, dass sie beschloss, ihrer Mutter die Wahrheit zu erzählen, um sich von dem Martyrium zu befreien, doch ihre beiden einzigen Vertrauten, die ihr beim Stoffblumennähen am Fenster halfen, redeten ihr die lobenswerte Absicht aus. »Ich folgte ihnen blind«, sagte sie zu mir, »da sie mir weisgemacht hatten, sie wüssten, wie man Männer hinters Licht führt.« Sie versicherten ihr, fast alle Frauen verlören ihre Jungfernschaft bei Unfällen in der Kindheit. Sie beteuerten, dass auch die schwierigsten Ehemänner sich mit allem abfänden, sofern niemand etwas davon erführe. Sie überzeugten sie schließlich davon, dass die meisten Männer so verängstigt in die Hochzeitsnacht gingen, dass sie ohne die Hilfe der Frau ohnehin nichts zustande brächten und in der Stunde der Wahrheit nicht über die eigenen Handlungen Rechenschaft ablegen könnten. »Sie glauben allein an das, was sie auf dem Leintuch sehen«, sagten sie zu ihr. Daher brachten die beiden ihr Hebammenkniffe bei, damit sie den Verlust ihres Kleinods vertuschen und an ihrem ersten Morgen einer Jungvermählten das Leintuch mit demEhrenflecken im sonnenhellen Innenhof ihres Hauses ausbreiten könne.
    In dieser Illusion heiratete sie. Bayardo San Román seinerseits heiratete vermutlich in der Illusion, sein Glück mit dem ungewöhnlichen Gewicht seiner Macht und seines Vermögens erkaufen zu können, denn je ausufernder die Pläne für das Fest wurden, auf desto verrücktere Ideen kam er, es noch grandioser zu gestalten. Auch dachte er daran, die Hochzeit um einen Tag zu verschieben, als der Besuch des Bischofs angesagt wurde, damit dieser sie traue, doch Ángela Vicario widersetzte sich. »In Wahrheit«, sagte sie zu mir, »wollte ich nicht von einem Mann eingesegnet werden, der nur die Kämme der Hähne in die Suppe schneidet und den ganzen restlichen Hahn in den Müll wirft.« Aber auch ohne den bischöflichen Segen entwickelte das Hochzeitsfest eine solch unbeherrschbare Eigendynamik, dass es sogar Bayardo San Románs Händen entglitt und schließlich zum öffentlichen Ereignis wurde.
    General Petronio San Román und seine Familie reisten diesmal mit dem Galaschiff des Nationalkongresses an, das bis zum Ende des Festes am Kai vertäut blieb, und mit ihnen kamen viele erlauchte Personen, die jedoch in der Menge neuer Gesichter unbemerkt blieben. Sie brachten so viele Geschenke mit, dass der verlassene Bau des ersten Kraftwerks instand gesetzt werden musste, um die herrlichsten von ihnen zur Schau zu stellen; die übrigen wurden gleich in das einstige Haus des Witwers de Xius gebracht, das schon bereitstand, die Neuvermählten zu empfangen. Der Bräutigam bekam von den Gästenein Kabriolett geschenkt, auf dem sein Namen in gotischen Lettern unter dem Firmenwappen eingraviert war. Die Braut bekam ein großes Etui mit einem Besteck aus reinem Gold für vierundzwanzig Personen. Außerdem brachten sie eine Ballett-Truppe mit
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