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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
Autoren: Anne Rice
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Vergrößerungsglas. Aber das wirst du nicht brauchen. Du hast schärfere Augen als ich.«
    »Wir beide … wir können sie vielleicht … gemeinsam lesen.«
    »Ja … alle zwölf Bücher«, sagte er. Leise erzählte er von den vielen erstaunlichen kleinen Bildern, winzigen Menschen, von Tieren und Blumen und von dem Löwen, der neben dem Lamm lag.
    Ich schloß die Augen. Ich war dankbar. Ich war zufrieden. Er spürte, ich wollte jetzt nicht mehr reden.
    »Ich bin da unten in der Stadt, in unserer Wohnung. Ich erwarte dich. Sie können dich nicht mehr lange hier festhalten.«
    Was ist lange?
    Mir schien, das Wetter wurde besser. David hätte sich auch mal wieder sehen lassen können. Manchmal schloß ich Augen und Ohren vor jedem Laut, der mit Absicht an mich gerichtet wurde. Ich hörte die Zikaden singen, wenn der Himmel wohl im Abendrot prangte und andere Vampire noch schliefen. Ich hörte die Vögel, wenn sie in den Eichen der Napoleon Avenue raschelten.
    Ich hörte die Kinder! Sie kamen, die Kinder. Sie sangen. Und hin und wieder tuschelten zwei in hastigem Geflüster, als ob sie, unter einem Zelt aus Bettüchern verborgen, Vertraulichkeiten austauschten.
    Und Füße trippelten die Treppe auf und ab.
    Und dann, von jenseits der Mauern, der plärrende, wachsende Lärm der von Elektrizität vibrierenden Nacht.
    Eines Abends, als ich die Augen öffnete, waren die Ketten verschwunden. Ich war allein, und die Tür stand offen.
    Meine Kleider waren zerfleddert, aber es machte mir nichts aus. Ich richtete mich auf, mit ächzenden Gliedern, und endlich wieder, nach sicherlich vierzehn Tagen, fühlte ich mit der Hand mein Auge und versicherte mich, daß es wirklich da war - obwohl ich es doch während meiner Gefangenschaft schon benutzt hatte und schon geraume Zeit vorher aufgehört hatte, darüber nachzudenken.
    Ich verließ das Kloster über den alten Innenhof. Für einen Sekundenbruchteil glaubte ich, ein eisernes Schaukelgestell zu sehen, so eins, wie es auf Spielplätzen für die Kinder aufgestellt wird. Ich sah die wie ein A geformten Rahmen an beiden Enden, den Querbalken und sogar die beiden Sitzbretter und Kinder, die darauf schaukelten, kleine Mädchen mit wehenden Haaren, ich hörte ihr Lachen. Benommen richtete ich meinen Blick nach oben auf die bunten Glasfenster der Kapelle.
    Die Kinder waren fort, der Hof, mein Palast nun leer. Dora hatte alle Zelte hinter sich abgebrochen, alle Fesseln durchtrennt. Längst schon ging sie den Weg ihres ach so großen Triumphes.
    Ich wanderte ein ganzes Stück die St. Charles Avenue hinab, unter den vertrauten Eichen entlang, über altes Pflaster, vorbei an alten und neuen Häusern. Und dann weiter über die Jackson Avenue, hinein in diese merkwürdige Mischung aus Tavernen und Neonschildern, zu Pensionen umfunktionierten Gebäuden, heruntergekommenen Häusern und ausgefallenen Läden, diesem grellen Ausschuß, der sich bis zur Innenstadt erstreckte.
    Ich kam zu einem verlassenen Laden, in dem einst teure Automobile ausgestellt wurden. Fünfzig Jahre lang waren hier schicke Wagen verkauft worden, und nun war es ein riesiger öder Saal mit gläsernen Wänden. Ich konnte mein Spiegelbild in dem Glas ganz deutlich und vollkommen sehen. Es war wieder mein - mein übernatürliches Augenlicht, makellos konnte ich sehen, mit beiden blauleuchtenden Augen.
    Und ich sah mich selbst.
    Ich möchte, daß Sie mich nun sehen. Ich möchte, daß Sie mich betrachten, wie ich hier vor Ihnen stehe, während ich diese Geschichte beschwöre, jedes Wort davon beschwöre, aus tiefstem Herzen.
    Ich bin der Vampir Lestat. Und was ich gesehen habe, habe ich gesehen. Und was ich gehört habe, habe ich gehört. Und was ich weiß, weiß ich! Es ist alles, was ich weiß.
    Glauben Sie mir, Wort für Wort, glauben Sie mir, was ich erzählt und aufgeschrieben habe.
    Ich bin noch immer hier, der Held meiner eigenen Träume, und ich bitte Sie, gewähren Sie mir einen Platz in den Ihren.
    Ich bin der Vampir Lestat.
    So lassen Sie mich nun aus der Literatur scheiden und in die Legende eingehen.
     
    - ENDE -
     
     
    28. Februar 1994, 21.43 Uhr Adieu, mon amour
     
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