Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
frei. Und mein rechtes Auge, das hatte ich auch noch. Wer war dieser Besucher?
    »Das da hinten ist David«, sagte Louis in beruhigendem Tonfall.
    »Nein, daneben. Schau doch, schau genauer hin, da, in den tiefen Schatten. Schau, der Umriß einer Frau, so weiß und hart, daß sie genausogut eine von den Statuen sein könnte. - Maharet!« rief ich.
    »Ich bin hier. Lestat«, sagte sie.
    Ich lachte. »Na, wenn das, als der Herr ihn rief, nicht Jesaja antwortete: ›Ich bin hier, Herr.«
    »Ja«, stimmte sie zu. Ihre Stimme war kaum vernehmbar, doch glockenklar, geläutert von der Zeit, längst befreit von jeglicher Körperlichkeit.
    Ich näherte mich zögernd, trat aus der Kapelle heraus und in den kleinen Vorraum. Neben ihr stand David, als sei er ihr gesalbter Stellvertreter und jederzeit bereit zu springen, um ihren Willen zu erfüllen. Sie war nun die Alteste, unsere Eva, unser aller Mutter, zumindest die Mutter, die uns geblieben war. Und als ich sie jetzt ansah, entsann ich mich wieder der grausamen Wahrheit im Zusammenhang mit ihren Augen: Als sie noch ein Mensch war, hatte man sie geblendet, und sie benutzte nun fremde Augen zum Sehen, Augen von Menschen.
    Blutende menschliche Augen schauten aus ihrem Gesicht, einem Toten oder vielleicht auch einem Lebenden geraubt und in ihre Augenhöhlen verpflanzt, wo ihr vampirisches Blut sie eine Zeitlang gedeihen ließ. Doch wie müde wirkten sie in ihrem schönen Gesicht. Was hatte Jesse gesagt? Sie ist wie aus Alabaster gemacht. Und Alabaster ist ein Stein, durch den das Licht hindurchscheint.
    »Ich werde mir kein menschliches Auge beschaffen«, murmelte ich in mich hinein.
    Sie sagte nichts. Sie war nicht gekommen, um Urteile, Empfehlungen abzugeben. Aber warum war sie hier? Was wollte sie?
    »Möchtest du auch meine Geschichte hören?«
    »Dein liebenswürdiger englischer Freund sagt, daß es genau so war, wie du es geschildert hast. Er sagt, die Lieder, die sie im Fernsehen bringen, erzählen die Wahrheit; daß du der Engel der Nacht bist, daß du ihr das Schweißtuch gabst. Er sagt, daß er dabei war, als du alles erzählt hast.«
    »Ich bin kein Engel! Ich hatte nie die Absicht, ihr das Tuch zu geben! Ich nahm es mit als Beweis. Ich nahm es, weil…«
    Meine Stimme brach. »Weil was?« fragte sie.
    »Weil Christus es mir gegeben hat!« flüsterte ich. »Er hat gesagt:
    ›Nimm es‹, und das habe ich getan.«
    Ich weinte. Und sie wartete ab. Geduldig, feierlich. Louis waltete, David wartete, bis ich endlich aufhörte.
    »Wenn du es schon aufschreibst, David, dann schreib jedes, aber auch jedes noch so doppelsinnige Wort auf, hörst du? Ich werde es nicht selbst schreiben. Ich nicht. Nun, vielleicht … wenn ich meine, daß du es nicht genau triffst, dann schreibe ich es, von Anfang bis Ende. Was willst du, Maharet? Nein, ich schreibe es doch nicht. Warum bist du hier, Maharet, warum besuchst du das ›Biest‹ hier in seiner neuerworbenen Burg, warum? Antworte mir.«
    Sie sagte kein Wort. Ihr langes, blaßrotes Haar fiel ihr bis über die Hüften. Sie trug ein ganz schlichtes Modell, ein langes, lose fallendes Oberteil, das ein Gürtel um ihre zierliche Taille raffte, und einen ihre kleinen Stiefel bedeckenden Rock. Das Aroma des menschlichen Blutes, das ihren Augen entströmte, war durchdringend. Und wie sie in ihrem Gesicht flammten, schienen mir diese toten Augen erschreckend, unerträglich.
    »Ich werde keinem Menschen das Auge nehmen!« sagte ich. Das hatte ich schon zuvor gesagt. War ich jetzt arrogant oder unverschämt? Sie hatte eine solche Macht. »Ich will keinem Menschen das Leben nehmen.« Jetzt sprach ich aus, was ich damit eigentlich gemeint hatte. »Nie, nie, nie wieder, solange ich lebe und standhalte und darbe und leide, nie wieder will ich einem Menschen das Leben nehmen oder meine Hand gegen ein Mitgeschöpf erheben, egal, ob Mensch oder einer von uns. Ich will nicht … ich bin … ich will…«
    »Ich werde dich hier festhalten«, sagte sie. »Als Gefangenen.
    Nur für eine Weile, bis du ruhiger geworden bist.«
    »Du bist verrückt. Du hältst mich nirgendwo fest.«
    »Wir haben Ketten für dich bereit. David, Louis - ihr werdet mir helfen.«
    »Was soll das? Ihr zwei wagt es? Ketten, wer redet hier von Ketten? Wer bin ich - der Sündenbock, der in die Grube gestoßen wird? Das würde Memnoch köstlich amüsieren, wenn er mich nicht endgültig fallengelassen hätte.«
    Aber keiner von ihnen rührte sich. Sie standen unbewegt, und Maharets
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher