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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
Autoren: Anne Rice
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OriginalSchweißtuch, die die Fotografen in der Kirche aufgenommen und dann zu Tausenden vervielfältigt hatten.
    »Amazing grace, amazing grace…«, sang eine Gruppe im Chor und wiegte sich im Takt dazu, während sie ihren Platz in der Schlange zu behaupten suchte. »Gloria in excelsis Deo!« röhrte ein bärtiger Mann mit weit ausgebreiteten Armen.
    Als wir uns allmählich der Kirche näherten, sahen wir immer wieder kleine Diskussionsgruppen. Im Mittelpunkt einer dieser Gruppen stand ein junger Mann, der mit ehrlichem Eifer und wie ein Schnellfeuergewehr auf die Leute einredete: »Im 14. Jahrhundert wurde sie offiziell als Heilige anerkannt, und man glaubte, ihr - Veronikas - Schweißtuch sei während des vierten Kreuzzugs verlorengegangen, als die Venezianer die Hagia Sophia stürmten.« Er unterbrach sich, um seine Brille wieder zurechtzurücken. »Natürlich wird der Vatikan sich mit der Beurteilung dieser Sache Zeit lassen, wie immer, aber es sind inzwischen dreiundsiebzig Abdrücke von dem Originaltuch abgenommen worden, und das noch dazu vor den Augen unzähliger Zuschauer, die bereit sind, das vor dem Heiligen Stuhl zu bezeugen.«
    An einer anderen Stelle standen mehrere dunkel gekleidete Männer, vielleicht Priester, ich war mir nicht sicher, umringt von Zuhörern, die die Augen wegen des fallenden Schnees zusammenkniffen.
    »Ich behaupte ja nicht, daß die Jesuiten nicht kommen dürfen«, verteidigte sich einer der Männer. »Ich sagte nur, daß sie nicht kommen werden, um die Sache in die Hand zu nehmen. Dora hat die Franziskaner gebeten, Sachwalter des Schweißtuchs zu sein, wenn es aus der Kathedrale fortgebracht wird.«
    Und hinter uns sagten zwei Frauen übereinstimmend, daß schon Tests gemacht worden wären und das Alter des Tuchs nicht anzuzweifeln sei. »Diese Sorte Flachs wird heutzutage nirgends mehr angebaut, man könnte einen solchen Stoff gar nicht mehr herstellen; der Stoff selbst, so sauber und neu, wie er ist, ist an sich schon ein Wunder.«
    »… sämtliche Körperflüssigkeiten, jeder Teil des Abdrucks besteht aus Partikeln eines menschlichen Körpers. Sie brauchten das Tuch nicht einmal anzukratzen, um das herauszufinden! Das … das ist…«
    »… Enzymreaktionen. Aber man weiß ja, wie verdreht solche Sachen wiedergegeben werden.«
    »Nein, nicht die ›New York Times‹. Die ›New York Times‹ wird doch nicht schreiben, daß drei Archäologen es für authentisch halten.«
    »Gott und der Teufel sind beide Idioten!« rief ich.
    Einige Frauen drehten sich zu mir um und starrten mich strafend an.
    »Nimm Jesus als deinen Erlöser an, mein Sohn«, sagte eine von ihnen. »Geh und sieh dir das Schweißtuch selbst an. Für deine Sünden ist Er gestorben.«
    David zog mich fort. Niemand schenkte uns Beachtung. Weit und breit war kein Ende der Grüppchen von Philosophen und Augenzeugen und ihrer Belehrungen abzusehen. Ringsum warteten Leute darauf, daß die vom Anblick des Schweißtuchs Verzauberten die Kirchenstufen herabstolperten, mit tränenüberströmten Gesichtern. »Ich habe es gesehen, ich habe es gesehen, es ist das Antlitz Christi.«
    Und dort, im Hintergrund des Portals, an eine Säule gelehnt wie ein großer spinnenartiger Schatten, sahen wir die Gestalt des Vampirs Mael. Den Augen der Menge fast völlig entzogen, wartete er darauf, mit zum Kreuz ausgebreiteten Armen ins Licht der aufgehenden Sonne zu treten.
    Er sah uns verstohlen an. »Ihr auch!« Er sprach unhörbar für die Sterblichen, seine übernatürliche Stimme klang nur in unseren Ohren. »Kommt her, stellt euch der Sonne, breitet die Arme aus! Lestat, Gott wählte dich zu Seinem Boten.«
    »Komm hier weg«, sagte David. »Wir haben genug gesehen für diese Nacht - und für viele weitere Nächte.«
    »Und wohin sollen wir gehen?« fragte ich. »Hör auf! Hör auf, an meinem Arm zu zerren. David? Hast du gehört?«
    »Ich höre ja schon auf«, sagte er höflich und mit so leiser Stimme, als wollte er mir nahelegen, auch meine zu senken. Der Schnee rieselte jetzt ganz weich hernieder. Das Feuer in der neben uns stehenden eisernen Tonne knisterte leise.
    »Die Bücher, was habt ihr damit gemacht?« Wie, um alles in der Welt, konnte ich die nur vergessen haben?
    »Was für Bücher?« fragte er. Und zog mich von der Gehwegmitte fort vor ein Schaufenster, hinter dem ein Häufchen Neugieriger die gemütliche Wärme drinnen und den Blick auf die Kirche gegenüber genoß.
    »Die Bücher von Wynken de Wilde. Rogers zwölf
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