Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe
Autoren: Annette Pehnt
Vom Netzwerk:
Gedanken und mich an die Ränder der Wiese, dahin, wo das
Gebüsch dichter wurde und größere Tiere hausten, die sich nicht zeigten, weil
sie scheu und vielleicht auch gefährlich waren, und die Quelle, das Bächlein
wurde reißender. Mehr Wasser stürzte hindurch und riss an der Böschung, der
Boden wurde steiniger und abschüssig, und wie geht es dir jetzt. Mir ist ein
bisschen unheimlich, sagte ich, und das wollte mein Zuhörer, er lockte mich ins
Unheimliche, immer tiefer ins Unterholz, er dachte, er könnte mich mit Bären
und Wölfen erschrecken, aber das war es nicht. Tiere waren in Ordnung, man
konnte sie zähmen, sogar die großen. Aber ich hörte schon ein Knacken, das Gestrüpp
war so verdorrt, ein Funken nur, und ein Feuer könnte ausbrechen, ein
gewaltiges Feuer sich ausbreiten, in Windeseile, schneller, als du schauen
kannst, prescht so ein Feuer voran, frisst das Holz, verdunkelt die Luft, du
kannst versuchen zu rennen, aber schneller als die Flammen ist niemand, Tiere
nicht und auch kein Mensch. Ich war außer Atem, ich rannte, ich war so schnell
wie nie und wusste doch, ich würde es nicht schaffen, ja, sagte mein Zuhörer.
Also, was kannst du machen. Er bremste mich aus, hielt meine Geschichte an:
einen Augenblick überlegen, was kannst du machen, schau dich um. Ich war
verschwitzt, kein Wunder: Das Feuer stand um mich herum, eine tosende Wand. Ich
kann, sagte ich außer Atem, ich kann vielleicht in den Bach und in dem Bach weiterlaufen.
Ja, sagte mein Zuhörer, das Wasser schützt dich, steig doch hinein in den Bach.
Das machte ich, ging in den Bach, so wie ich war, Schuhe und alles. Er war
tiefer, als ich dachte, bis zu den Waden, Knien, bis zur Hüfte, kühles Wasser:
kein Feuer. Ich watete hindurch, es ging schwer voran, gegen das Wasser an,
tauchte auch einmal ganz unter, damit die sprühenden Funken mich nicht in Brand
setzen konnten, sie taten es nicht. Ich kam immer weiter weg, die Flammen
wurden leiser, ich streifte mir den Ruß aus den Haaren, die tropfend um mein
Gesicht hingen, nass vom Schutzwasser. Du hast es geschafft, sagte mein Zuhörer,
du bist gerettet. Ja, sagte ich, noch erstaunt, wie unversehrt ich geblieben
war. Ganz allein, sagte der Zuhörer, hast du aus dem Feuer herausgefunden,
niemand anders hat dir geholfen. Ja, sagte ich.
    Mein Zuhörer wuchs mir ans Herz, so sehr, dass ich die Tage zählte,
bis er mir wieder zuhören würde. Du wolltest immer wissen, was ich denn so
machte bei dem Psychologen und ob er nett zu mir sei und was er mit mir denn so
tue und ob es helfe. Das kannst du mir doch erzählen, sagtest du, wir reden
doch über alles. Ich erzählte nichts und weiß nicht, ob es half, ich weiß nur,
dass ich in den Geschichten, die ich meinem Zuhörer erzählte, immer mutiger
wurde. Immer ging ich zuerst auf der Wiese spazieren. Dann geschah etwas
Schreckliches, ein Sturm, Unfall, Steinschlag, Feuer, immer wieder Feuer, und
mein Zuhörer, der mir so zuhörte wie später nie wieder jemand, hörte mir zu
beim Davonlaufen oder sogar Dableiben: Wasser holen, einen Elefanten zähmen,
der dann mit seinem Rüssel große Mengen Wasser auf die Flammen prustete und sie
zu einem jämmerlichen Gluthaufen zusammenschrumpfen ließ. Ich erzählte mit geschlossenen
Augen. Manchmal, wenn ich rasch zum Zuhörer hinüberblickte, um sicherzugehen,
dass er richtig zuhörte, schaute er nachdenklich aus dem Fenster, die Beine
immer übereinandergeschlagen, ein wenig in den Sessel gesunken. Ich zweifelte
nie daran, dass er mit den Gedanken bei mir und meinen Flammen war.
    Einmal hattest du beschlossen, meiner Angst zu Leibe zu rücken. So,
sagtest du und nahmst mich an der Hand, in der anderen ein Päckchen Streichhölzer,
jetzt gucken wir mal, wie das mit dem Feuer so ist. Und du führtest mich vor
das Haus, zogst ein Streichholz aus der Packung und wartetest, bis die Flamme
erblühte. Und jetzt, fragte ich bang. Jetzt halte ich die Flamme an die Mauer,
und dann siehst du, dass ein Haus nicht einfach so brennt. Nein, rief ich
entsetzt, und die Angst schoss gewaltig in meinen Körper und verteilte sich
rasend schnell bis in die Fingerspitzen, nein, mach das nicht. Lass sie doch, sagte
Papa, der im Vorgarten verblühte Nachtkerzen abpflückte, du siehst doch, was
mit ihr los ist. Du hörtest ihn gar nicht, es wird nicht brennen, sagtest du,
aber das Hölzchen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher