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Roter Lampion

Roter Lampion

Titel: Roter Lampion
Autoren: C. C. Bergius
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    Dichter Nebel lag über London, als ein Mechaniker der Firma Simons & Simons zu später Stunde das Hotel Ritz betrat und verlegen stehenblieb. Die geräumige Hotelhalle mit ihren funkelnden Kristallüstern, seidenen Tapeten, dicken Teppichen und schweren Fauteuils machte ihn unsicher. Betreten schaute er zur Empfangsloge hinüber, in der einige blaß aussehende Herren ihren Aufgaben nachgingen.
    »Wohin wollen Sie?« fragte ihn ein goldbetreßter Page, der aus einem neben dem Eingangsportal befindlichen Raum heraustrat.
    »Ich soll einen Wagen abholen.«
    »Wessen Wagen?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Sie sind aber drollig«, entgegnete der Page und wies zur Rezeption hinüber. »Erkundigen Sie sich dort.«
    Der Mechaniker tat wie ihm geheißen und ging auf die Empfangsloge zu. Stinkvornehm, dachte er dabei. Hier würde mir nicht einmal ein Bier schmecken.
    Der Portier blickte ihm mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen. »Sie wünschen?« fragte er mit nasaler Stimme.
    »Ich soll einen Wagen abholen.«
    »Einen Wagen?«
    »Ich weiß Bescheid«, rief jemand aus einem rückwärtig gelegenen Büro, und unmittelbar darauf erschien ein glattrasierter junger Mann. »Sind Sie von der Firma Simons & Simons?«
    »Ja.«
    »Hier sind die Schlüssel und Papiere des Wagens. Außerdem die genaue Bezeichnung des Piers und der Firma, bei der das Fahrzeug in Southampton zur Verladung angeliefert werden soll.«
    »Und wo steht der Wagen?«
    »Gleich vorne am Portal. Fragen Sie den Pagen nach dem ›Bentley‹ von Mister Sorokin. Und wenn Sie nochmals zu uns kommen, dann nehmen Sie gefälligst Ihre Mütze vom Kopf.«
    Das nächste Mal soll der Chef einen anderen schicken, dachte der Mechaniker betroffen und wandte sich an den Pagen, der ihn zu einem silbergrauen Coupe führte.
    »Trinkgeld werden Sie mir ja wohl nicht geben«, frotzelte ihn ein hinzukommender Parkplatzwächter.
    »Erraten!« erwiderte der Mechaniker, schloß die Tür auf, setzte sich hinter das Steuer und betätigte den Anlasser.
    Im selben Moment schoß eine blauweiße Stichflamme unter der Motorhaube hervor, und eine ohrenbetäubende Explosion zerriß die Nacht. Der Wagen barst auseinander. Teile sausten wie Schrapnelle durch die Luft. Der Mechaniker sackte zusammen. Vom Luftdruck erfaßt, wurde der Page gegen das Portal geschleudert.
    Eine zweite Detonation erfolgte. Der Parkplatzwächter schrie auf und stürzte zu Boden. Benzin spritzte umher, und Sekunden später brannte der Wagen lichterloh.
    In der Ferne schrillte eine Polizeipfeife. Menschen eilten herbei und blieben entsetzt stehen, als sie in den Flammen einen kopflosen Körper sich drehen sahen.
    Ein Angestellter des Hotels lief auf den Parkplatzwächter zu und riß ihn von der Unfallstelle fort. »Holt einen Feuerlöscher!« schrie er, als er sah, daß die Kleidung des Bewußtlosen brannte.
    Ein Polizist tauchte vor ihm auf und starrte entgeistert in die hochschlagenden Flammen. »Wie ist das passiert?«
    »Woher soll ich das wissen?« fuhr ihn der Hotelangestellte an.
    »Das sieht nach einem Attentat aus!«
    »Kümmern Sie sich lieber um den Pagen dort!«
    Hausdiener stürzten herbei.
    »Alarmiert das Überfallkommando!« rief der Polizist und beugte sich über den regungslos am Boden liegenden Pagen.
    Zehn Minuten später, der Krankenwagen des ›Royal Hospital‹ war gerade mit den beiden Schwerverletzten in Richtung Chelsea davongefahren, machten die ersten Reporter ihre Blitzlichtaufnahmen von den ausgebrannten Trümmern des Wagens und seinem verkohlten Insassen.
     
     
    Ein steifer Nordwestwind hatte den Himmel über London blank gefegt, als Sir George Harrison, der Leiter des Amtes für Spionageabwehr, die in einer Villa des Stadtteils Mayfair etablierte Abteilung M.I.5 des Secret Service verließ, um im nahe gelegenen St. Thomas Club seinen Tee einzunehmen. Er genoß die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne, die zartgrüne Schleier über die Bäume legte und den wolkenlosen Himmel, an dem sich Kondensstreifen wie Klingen kreuzten, stahlblau erstrahlen ließ.
    Das heitere Bild des Tages veranlaßte den wie immer makellos gekleideten Sir George, der einen Homburg trug und seinen Schirm mit der Attitüde seines Standes führte, einen kleinen Umweg durch den Green Park zu machen, den er jedoch schnell beendete, als er erkannte, daß viele Menschen den gleichen Gedanken gehabt hatten. Er kehrte zur Piccadilly zurück und war froh, als er das Klubhaus erreichte, dessen bronzener Türklopfer
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