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Roter Lampion

Roter Lampion

Titel: Roter Lampion
Autoren: C. C. Bergius
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daß es bis zur Ausfahrt noch eine Weile dauern würde. Nach wie vor wurden Wagen geladen und Fässer gestapelt. Er ging deshalb zum Chiefsteward und bat ihn um eine Passagierliste, für die er sich nicht ohne Grund interessierte, wie sein weiteres Verhalten zeigte. Denn als der Chiefsteward ihm eine der als Büchlein aufgemachten Listen übergab, verwickelte er ihn in ein Gespräch, in dessen Verlauf er wie unbeabsichtigt eine zweite Liste in die Hand nahm und darin herumblätterte, bis er sich plötzlich überrascht stellte und verwundert fragte: »Sorokin? Ivo Sorokin ist an Bord?«
    »Noch nicht«, antwortete der ›Chief‹. »Mister Sorokin hat ab Southampton gebucht.«
    »Nach Hongkong?«
    »Ja, Sir. Kennen Sie ihn?«
    Gordon Cooper schüttelte den Kopf und trat dicht an den Chiefsteward heran. »Mister Tann«, flüsterte er beschwörend. »Sie würden mich außerordentlich verpflichten, wenn Sie Mister Sorokin und mich im Speisesaal an einen Tisch setzen würden. Es könnte die Chance meines Lebens sein! Sorokin ist in Hongkong einer der einflußreichsten Kaufleute. Wenn ich Tuchfühlung mit ihm bekomme, dürfte sich meine Position wesentlich verbessern. Bitte, setzen Sie uns zusammen.«
    Die Augen des Chiefstewards wurden stechend. »Geht in Ordnung, Mister Cooper. Ich habe noch einen Zweiertisch am Fenster frei.«
    Eine Fünfpfundnote wechselte ihren Besitzer.
    Es läuft wie am Schnürchen, dachte Cooper und begab sich in seine Kabine, wo er vor jeden der in der Passagierliste aufgeführten Namen eine Nummer notierte, die er anschließend in die zweite Liste übertrug, die er mitgenommen hatte. Diese steckte er sodann in einen Umschlag, verklebte ihn und schloß ihn mit der eigenen Liste im Sicherheitsfach seines Schreibtisches ein. Dann machte er sich frisch und suchte das Lidodeck auf, wo sich schon die meisten der an Bord befindlichen Gäste eingefunden hatten. Das Deck war bereits gescheuert, an den Ladebäumen waren einige Matrosen jedoch noch mit dem Verzurren der Flaschenzüge beschäftigt.
    Nachdem Gordon Cooper sich ein wenig umgeschaut hatte, entdeckte er Margit Holstein, die gerade zum Bootsdeck hinaufstieg. Er wollte ihr schon folgen, besann sich dann jedoch eines Besseren. Es wird noch genügend Gelegenheiten geben, sagte er sich und trat an die Reling heran.
    Wenige Minuten später heulte die Schiffssirene auf, und unmittelbar danach wiederholten zwei längsseits gekommene Bugsierschiffe das Signal und ließen ihre Motoren mit voller Kraft laufen, um die ›Bayern‹ vom Pier fortzuziehen.
    Auf der Kommandobrücke gingen der Lotse und der Kapitän abwechselnd von der Steuerbord- zur Backbordseite, um das Ablegemanöver zu verfolgen. Durch das Schiff lief ein Zittern, und gleich darauf war zu spüren, daß die Motoren die Schraube in Bewegung setzten. Am Heck verfärbte sich das Wasser und schäumte auf. Aus dem Decklautsprecher ertönte die Melodie: Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus…
    Gordon Cooper, der zwei Jahre in Deutschland gelebt hatte, summte das Lied mit, obwohl er es höchst banal fand.
    Der ›Euromast‹, Rotterdams Sendeturm, glitt langsam vorüber. Seine in hundert Meter Höhe befindliche Terrasse war überfüllt von winkenden Menschen.
    Jetzt gehe ich doch zu der hübschen Margit, dachte Cooper und stieg die Treppe zum Boots-Deck hinauf.
    Sie sah ihn kommen und begrüßte ihn mit einem schlichten »Hallo…!«
    »Hallo«, erwiderte er und überlegte, ob sie die profane Begrüßungsform gewählt hatte, um ihn nicht beim Vornamen nennen zu müssen. »Toller Hafen, nicht wahr?«
    Margit Holstein nickte. Ihre Augen glänzten in unverhohlener Begeisterung. »Er ist wirklich einmalig. Ich habe gestern eine Rundfahrt durch ihn gemacht.«
    »Hoffentlich waren Sie auch in der Stadt.«
    »Sogar in einem Museum. Und Zadkines Bronzestatue habe ich mir ebenfalls nicht entgehen lassen.«
    »Wie finden Sie die Gestalt?«
    »Sehr eindrucksvoll.«
    »Viele werden nicht mit ihr fertig.«
    »Ich verstehe das, weil sie irgendwie erschreckend ist«, erwiderte sie nachdenklich. »Aber die verrenkten, zum Himmel erhobenen Arme sind ein treffendes Symbol für diese Stadt, die nach der erlittenen Bombardierung wie Phönix aus der Asche stieg und nur noch dem Frieden dienen will.«
    Gordon Cooper blickte verwundert zu Margit Holstein hinüber, die den Kopf in den Nacken legte und begierig die frische Brise einatmete, die nun über das Schiff wehte. Es lag ihm auf der Zunge zu fragen: Waren
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