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Gefaehrlich sexy

Gefaehrlich sexy

Titel: Gefaehrlich sexy
Autoren: Kim Karr
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Prolog
    Colorblind

    Schließ die Augen, und du kannst dir vorstellen, wie es war. Heiß, schweißtreibend, beengt. Rauch, Videosequenzen auf Großleinwänden, flackerndes Licht. Kreischende, lachende, klatschende, weinende Fans. Wildes Drängeln und Schubsen, weil natürlich jeder etwas von der Bühne sehen wollte – die Beleuchtung, das Equipment, den Musiker selbst.
    Hektisch bewegte er sich singend und Gitarre spielend auf der Bühne hin und her. Der Songtext war wirr, sein wildes Headbanging nicht im Takt, und der schräge Bass dröhnte so laut, dass ich bei jedem falschen Ton zusammenfuhr. Ich sehnte mich danach, dass es endlich vorüber wäre.
    Nick Wilde spielte in der Hollywood Bowl als Opener für die Counting Crows. Es war seine zweite Chance – und er vermasselte sich wieder einmal selbst die Tour. Zu Anfang seines ersten Songs war die Menge noch begeistert. Er rockte die Bühne, aber dann ging alles schief. Beim dritten Song improvisierte er bereits, spielte falsche Töne und ließ Worte aus. Er verlor sich in seiner eigenen alkoholbedingten Trance, und wir konnten ihm nicht helfen – weder meine Mutter noch mein Bruder Xander noch ich selbst. »Mr. Jones« begann bereits zu spielen, noch bevor er seinen vierten Song beendet hatte, und nach diesem Abend trat er nie wieder auf irgendeiner Bühne auf.
    Dabei bedeutete Musik ihm alles. Und uns Kindern auch. Als wir klein waren, brachte er uns alles, was er wusste, bei: wie man spielte, wie man sang, wie man es auf einer Bühne richtig krachen ließ. Wir kannten jeden Song von jedem Künstler. Wir besuchten sämtliche Konzerte in der Stadt. Weil die Musik erst sein und irgendwann auch unser Leben war.
    Doch es reichte ihm nicht, nur zu spielen. Denn er hatte einen Traum. Er wollte unbedingt berühmt werden – ein Traum, von dem er irgendwann total besessen war. Dabei hatte er es weiter als die meisten anderen gebracht. Bereits mit neunzehn hatte eine Plattenfirma ihn unter Vertrag genommen und sein erstes Album rausgebracht. Doch da die Verkäufe eher enttäuschend ausgefallen waren, hatte man den Vertrag mit ihm wieder aufgelöst. Die nächsten fünfzehn Jahre trat er immer nur in irgendwelchen kleinen Clubs, in Kirchen, bei Hochzeiten oder Geburtstagspartys auf und wartete auf einen neuerlichen großen Durchbruch. Eine zweite große Chance – die er dann einfach so vertat.
    Danach veränderte sich unser Leben radikal. Seine Sauferei wurde immer schlimmer, Grandpa kam so oft es ging vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, und Mom nahm ihre Arbeit wieder auf. Dad lebte in seiner eigenen Welt, und es ging zusehends bergab mit ihm. Als ich sechzehn war, wurde sein Lebensplan zu meinem Lebensplan, und genau wie er nahm ich bereits sehr früh mein erstes Album auf. Doch im Gegensatz zu ihm hatte ich Xander. Der nicht zugelassen hätte, dass die Sache in die Hose ging. Das Album unserer Band The Wilde Ones hatte einen ziemlich schwachen Start, doch nachdem wir ein Jahr auf Tournee gewesen waren, verkaufte es sich ziemlich gut.
    Ich weiß noch ganz genau, wie wir zum ersten Mal auf einer echten Bühne aufgetreten sind. Wir waren unglaublich nervös, denn wir hatten stundenlang herumgesessen und gewartet, und obwohl wir zum Konzert mindestens so selbstbewusst wie bei der Probe auf die Bühne kamen, hätten wir uns vor lauter Aufregung beinah ins Hemd gemacht. Die Scheinwerfer dort oben waren extrem grell und das Publikum viel größer als in all den Clubs, in denen wir bis dahin aufgetreten waren. Als die anderen anfingen zu spielen, klangen die Worte meines ersten Songs atemlos und gepresst, und ich bekam kaum noch Luft. Die anderen übertönten mich, das war mir klar. Ich sah mich kurz nach ihnen um, verstellte die Höhe meines Mikrophons und wandte mich wieder der Menge zu. Sie jubelte mir so begeistert zu, dass ich meine Stimme plötzlich wiederfand. Die Stimme, mit der ich aufgewachsen und die von meinem Dad gefördert worden war. Sie war rau, präsent und ausdrucksstark, und als sie mit einem Mal lebendig wurde, rastete die Menge aus, und von einem Augenblick zum nächsten sah mein Leben völlig anders aus.
    Xander schmiedete das Eisen, solange es heiß war, und organisierte sofort eine Tournee. Die für mich die Hölle war. Wir fingen ziemlich bescheiden an. Mit kleineren Sälen, schäbigen Hotels, widerlichem Fast Food und vor allem jeder Menge Alkohol. Wir spielten als Vorgruppe von unzähligen großen Bands, und nur dank der tollen Kontakte, die
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