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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe
Autoren: Annette Pehnt
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siehst müde aus. Du siehst gar nicht so gut aus. Was ist denn
los mit dir. Willst du dich nicht mal ausruhen. Ich mach das hier schon, ich
räum die Spülmaschine aus, das geht schon mal ohne dich, du kannst dich ruhig
hinlegen.
    Wenn ich das sagte, tatest du das Gegenteil, ganz sicher, so sicher
wie das Amen in der Kirche, selbst wenn du dich vielleicht vorher hattest hinlegen
wollen, standst du sofort Gewehr bei Fuß.
    â€“ Wieso denn müde, so ein Unsinn. Du, du siehst müde aus, und das schon seit Wochen, habe ich dir das schon gesagt.
    â€“ Ja, du hast es schon gesagt.
    â€“ Also, warum musst du mich belauern.
    â€“ Ich belauere dich doch nicht, ich mache mir nur Sorgen, darf man
sich nicht Sorgen um seine Mutter machen.
    â€“ Ja, das ist ja das Allerschlimmste, das kann ich ja gar nicht
ausstehen, wenn du diese weinerliche Stimme anknipst.
    â€“ Komm, so war das doch nicht – jetzt komm.
    Wenn du aus der Klinik entlassen wirst, dann kannst du mich
endlich mal wieder besuchen kommen, komm doch mal zu uns, wollen wir nicht im
Sommer, ja in diesem Sommer, warum nicht gleich nächsten Monat zusammen ein
bisschen Zeit einplanen. Wir könnten doch verreisen, nicht weit weg, nur zwei,
drei Stündchen irgendwohin, wir beiden, nur du und ich, wir werden uns ein
Hotel suchen, eine kleine Pension, etwas Feines, dafür habe ich ein Händchen.
Oder wir bleiben bei mir, die anderen halten wir uns vom Leib. Du kannst sogar
bei mir arbeiten, Übersetzen geht überall, du musst ja auch gar nicht arbeiten,
eigentlich könntest du doch damit aufhören. Andere Mütter besuchen ihre Kinder
auch, und zwar freiwillig und gerne, die freuen sich über so eine Einladung. Du
freust dich gar nicht richtig, oder freust du dich, freust du dich überhaupt
mal richtig. Diesen Mittwoch freust du dich nicht, auch schon gestern nicht,
zwei Tage ohne Freude, unfroh liegst du in deinem Zimmer und tust so, als wäre
ich nicht da, kein Blick, keine Bewegung des Kopfes, wenigstens die Finger
könntest du krümmen, wenn ich über deinen Handrücken fahre, wie ich es heute
nun doch versucht habe.
    Ich wüsste schon, was wir alles machen würden, wenn du herauskommst
und die Augen aufmachst und dich nur ein bisschen freust, wir würden eine
hübsche Stadt aussuchen und auf jeden Fall lecker essen gehen, allzu weit
laufen würden wir nicht.
    Als ich schwanger war und du endlich doch zu Besuch kamst: ein
Spaziergang durch die Stadt, ich ging langsam, aber nicht langsamer als du.
Nicht bergauf, wir suchen uns Straßen, Plätze und Wege, die nicht bergauf
gehen, du atmest schnell und bleibst dann stehen, als wolltest du dich mal umschauen,
und bald schon schlägst du beiläufig vor, dich auf eine Bank zu setzen, ein
bisschen durchatmen, und dann schlägst du vor, dass ich vorgehe, dass ich mal
nach oben zur Burgruine gehe und dir später erzähle, wie es war, die musst du
dir nicht anschauen, du hast schon genug Burgruinen in deinem Leben gesehen.
    â€“ Mama, oben ist es herrlich, viel Wind, du wirst durchgeweht, komm
mit hoch: Du siehst alles , du könntest gleich
losfliegen.
    â€“ Das reicht mir schon, wenn du das erzählst.
    Ich setze mich neben dich auf die Bank und nehme deine Hand, kalte
Finger, wärmer wären sie, wenn du mit hochgekommen wärest. Flink und leicht
fühle ich mich, obwohl mein Bauch schon unter dem T-Shirt spannt, der Nabel
schon nach außen gestülpt, lange dauert das nicht mehr, schau mal, Mama. Aber
du winkst lachend ab, das willst du nun gar nicht sehen, den dicken Bauch
deiner Tochter, du weißt ja, wie das aussieht, du könntest auch etwas anderes
tragen, sagst du mir, da gibt es doch inzwischen die tollsten Sachen, etwas,
das nicht so aufträgt. Trotzdem bin ich leicht, du neben mir beschwert von der
Handtasche, die an deiner rechten Schulter hängt, ein pralles schwarzes Gewicht,
das dich am Boden hält, damit du alles immer dabeihast.
    Also, wenn du kämst, würden wir uns Plätze mit guter Aussicht suchen
und im Halbschatten, darin haben wir Übung. Du mit der Sonnenbrille: empfindliche
Augen, da weiß ich nie, ob du mich auch wirklich anschaust, wir würden
Eiskaffee trinken, in die Läden schauen. Vielleicht würden wir uns das Gleiche
kaufen, das ist schon passiert. Wir haben die gleiche Größe, ich bin etwas
größer als du vielleicht. Manche Sachen gefallen uns beiden, die
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