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Insel der Träumer

Insel der Träumer

Titel: Insel der Träumer
Autoren: Horst Hoffmann
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Horst Hoffmann
    Insel der Träumer
    Niemand hatte sie fortgehen sehen. Niemand war vom leisen Geräusch ihrer Schritte geweckt worden. Dies war die Nacht vor dem Fest des Vollen Mondes. In solchen Nächten schliefen die Menschen von Sarmara besonders tief und fest – außer jenen, die den Ruf vernahmen.
    Clydha und O’Lywynh hatten ihn gehört, tief in ihrem Inneren. Es war nicht so, dass jemand gekommen und vor sie hingetreten wäre und zu ihnen gesagt hätte: »Nun kommt mit mir, meine Kinder! Die lange Zeit des Wartens ist vorüber. Lasst zurück, was euer war, denn dort, wohin wir gehen, ist nichts von Bedeutung außer der Reinheit eurer Herzen!«
    Sie hatten ganz plötzlich gewusst, dass die Zeit gekommen war, dem Leben zu entsagen, wie sie es geführt hatten in einem Land, das ihnen von den Göttern selbst zum Geschenk gemacht worden war.
    Ein neues, besseres Leben wartete auf sie, die Erfüllung all ihrer Sehnsüchte, ihrer Träume und geheimsten Wünsche.
    Mit schlafwandlerischer Sicherheit suchten sie sich ihren Weg Hand in Hand durch die blühenden Büsche, die sich vor ihnen teilten, geleitet von Schwärmen großer, leuchtender Insekten und der leise wispernden Stimme in ihnen. Sie verstanden ihre Worte nicht, doch sie folgten dem Locken…
    Sie wussten nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als sie die Bucht erreichten und auf den Klippen stehenblieben. Unter ihnen war das Wasser ruhig. Nur ab und zu spritzte weiße Gischt Mannslängen hoch auf. Im hellen Licht der Sterne und des Mondes waren die Wassermassen des Strudels zu sehen, wie sie für ewige Zeiten ihre schäumenden Bahnen turmhoch um das Eiland zogen. Am gegenüberliegenden Ende der Bucht stieß bleich ein Teil der vor Tagen hier gestrandeten Lichtfähre aus den Fluten, eingekeilt zwischen zwei mächtigen Klippen.
    Lange standen die beiden Menschen so da, bis das Locken in ihnen übermächtig wurde. Ihre Blicke waren verschleiert, als sie sich ein letztes Mal ansahen, dann noch einmal den Kopf hoben und aufschauten zum schwach leuchtenden, nebligen Streifen, der im Süden das Firmament überzog.
    »Gehen wir«, flüsterte Clydha. Und sie packte die Hand des Gefährten fester, als sie nebeneinander den Weg zwischen den Felsen hinabschritten, den so viele andere vor ihnen genommen hatten, wenn sie sich auf die Traumreise begaben.
    *
    »So sieh es doch ein, Mythor! Es gibt keinen Weg zurück in die Welt des Hasses und des Kampfes, der Neider und der falschen Gläubigen! Haben wir nicht alles, was das Herz begehrt? Hör auf zu grübeln und erfreue dich an unserem Paradies. Ich für meinen Teil…«
    Mythor winkte ab. »Lass mich in Ruhe, Chrandor.«
    Der ehemalige Pirat rückte ein Stück von ihm fort und rümpfte die Nase. »Irgend etwas stimmt mit dir nicht, mein Freund, dass ich dir das einmal sage!«
    »Irgend etwas stimmt mit diesem… diesem Paradies nicht.«
    »Was soll das sein? Ist es dir noch nicht gut genug? Ist es das? Erwartest du noch mehr?« Chrandor lachte meckernd. »Irgend etwas stimmt nicht mit dir!«
    Mythor erhob sich. Die Lust an derlei Unterhaltungen war ihm vergangen. Chrandor war hartnäckig und ein wenig zu neugierig. Warum gab er sich nicht mit seinem Leben auf dieser Insel der Träume zufrieden?
    Oder hatte Sadagar geredet? Anlass dazu wäre genügend gewesen. Der Wein vernebelte nicht nur die Sinne der Männer, er lockerte vielen auch die Zunge. Mythor hatte sich bislang gehütet, sich als Sohn des Kometen zu zeigen. Unter den etwa 300 hier gestrandeten Legionären der Gasihara gab es viele Anhänger des Shallad Hadamur, und selbst jetzt noch mochten diese auf einen »Frevel« mit einem Strick um den Hals antworten.
    »Wo ist er?« fragte Mythor.
    »Wer?«
    »Der Steinmann.«
    »Am Strand, nehme ich an. Er verspürte plötzlich Hunger auf Fisch.«
    »Und du bist nicht bei ihm?«
    »Warum sollte ich? Hier gibt es nichts, was ihm gefährlich werden könnte, und er braucht meinen väterlichen Schutz nicht. Außerdem habe ich von Fisch genug.« Chrandor verzog das Gesicht. Er blieb im warmen Sand zwischen den Hütten liegen und blickte Mythor herausfordernd an. »Ein Weib«, sagte er. »Es kann nur ein Weib sein.«
    »Wovon redest du?«
    »Wenn einer wie du unbedingt von hier fortwill, muss er irgendwo ein Weib sitzen haben, das auf ihn wartet. Ich sage dir: Vergiss sie! Kein Frauenzimmer auf der ganzen Welt ist es wert, dass man sich um es Gedanken macht.«
    Mythor drehte sich zu ihm um, eine harte Entgegnung auf der
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