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Chimären

Chimären

Titel: Chimären
Autoren: Alexander Kröger
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nachhaltiger Vertrauensbruch, wenn nicht gar eine Beziehungskrise erwachsen könnte, die sie unter allen Umständen vermeiden wollte.
      Die Gründe ihrer Bedrückung lagen bei Lux und im Fortschreiten des Versuchs.
      Lux und Schäffi wurden immer verständiger und nahmen einen großen Teil von Shirleys Zeitfonds in Anspruch. Sie lehrte gemeinsam mit Boris Remikow die beiden Lesen und Rechnen nach den Büchern der entsprechenden Klassenstufen der Grundschule. Nur das Handikap der beiden Schüler, das Gelernte nur mündlich reproduzieren und üben zu können, ließ sich natürlich nicht überwinden. Boris dachte an die Konstruktion einer Spezialtastatur, verwarf den Gedanken aber wieder, da das kleine Team weder die Zeit noch das Wissen dazu hatte. Aufträge nach außen hätten Aufmerksamkeit erregt und wären daher von Lehmann ohnehin nicht genehmigt worden. Es blieben also lediglich die mündliche Kommunikation und das Lesen.
      Die beiden, Lux und Schäffi, lernten erstaunlich schnell und begierig. Aber mit dem wachsenden Wissen kamen die Fragen und eben nicht nur nach Fakten und Gegenständen, sondern insbesondere auch nach dem Sein.
      Während eines Spazierganges mit Lux wurde Shirley ihr eigenes Dilemma im Verhalten zu ihrem Schützling so recht bewusst: Lux schnüffelte an Bäumen und Mauerecken und setzte plötzlich, etwas taumelig noch, seine Marken. Die Frau bekam einen gelinden Schreck. Ihm es verbieten, beibringen: das macht man nicht, es gehört sich nicht, kam ihr selber absurd vor. Ihn im Laufe der Zeit sanft darauf hinweisen, dass er anders geartet sei als seine normalen vierbeinigen Brüder und deshalb dieses und jenes nicht…?
      Gedankenvoll verkürzte Shirley diesen Spaziergang, und fortan schränkte sie Ausflüge außerhalb des Institutsgeländes ein, was natürlich nicht bedeutete, dass Lux im kleinen umfriedeten Park auf seine angeborenen und vom Instinkt diktierten Gewohnheiten verzichtete.
      Shirley Lindsey versuchte es auf eine moderatere Tour, und kleine Erfolge hatte sie damit zu verzeichnen. Zum Beispiel, dass eine Katze nicht unbedingt ein zu jagendes Objekt sei. Ab und an stieg eine graugestreifte über die Mauer und wurde natürlich sofort von den Hunden gehetzt. Auch Lux und Schäffi beteiligten sich. Dem Kater aber machte es offenbar Vergnügen, die Verfolger an der Nase herumzuführen, indem er auf die kleinen Bäume sprang und verächtlich auf die Kläffer hinunter sah. Sobald sie jedoch abließen, provozierte er neue Verfolgungsjagden.
      Nachdem Shirley auf dieses Benehmen der Katze – wobei sie ihr, zugegeben, auch noch mehr menschliche Bosheit unterstellte – die beiden Heranwachsenden aufmerksam gemacht hatte, sie mahnte, erhaben zu sein, fand sie Gehör.
      Aber es gab Fragen über Fragen: Warum andere Artgenossen dieses und jenes dürften, man mit ihnen nicht reden könne, sie aber wie man selber röchen und auch aussähen…
      Als derartige Vergleiche sich häuften, fand sich mit Einverständnis Lehmanns eine Lösung, die sich ohnehin mit dem Fortschreiten des Versuchs anbot: Man trennte strikt die Behandelten von den anderen. Schäffi und Lux wurden nun mehr angehalten, in der Erziehung der Neulinge mitzuwirken, was den beiden großen Spaß bereitete und zunächst Shirleys Sorgen dämpfte.

    „ D anke, meine Damen und Herren! Im Allgemeinen können wir mit
    der Entwicklung zufrieden sein. Die Bilanz ist positiv. Das bedeutet nicht, dass wir uns eine Ruhepause gönnen dürfen.“ Uwe Lehmann lehnte sich zurück. „Master Lindsey, mit Ihnen habe ich noch zu reden.“
      Die monatliche Berichterstattung war zu Ende. Die leitenden Mitarbeiter verließen das gediegen eingerichtete Sitzungszimmer.
      Bislang hatte Shirley Lindsey dem Direktor noch nicht ausführlich über den Ablauf des Tests berichtet. Drei Monate waren vereinbart gewesen. Natürlich wusste Lehmann vom positiven Verlauf; Details aber blieben dem Endbericht vorbehalten, der an diesem Tag unter Ausschluss der übrigen Leitungsmitglieder fällig war.
      Die Sitzungsdauer war Shirley Lindsey wie eine Ewigkeit vorgekommen, obwohl auch sie routinehaft zu ihren übrigen Alltagsaufgaben – mit Ausnahme des Sonderauftrages – Stellung zu beziehen hatte. Schließlich sollte öffentlich nicht der Verdacht genährt werden, sie genieße Privilegien.
      Gespannt war Shirley Lindsey auf Lehmanns Reaktion und stolz darauf, ein derart positives Ergebnis präsentieren zu können. Dazu hatte
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