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Chimären

Chimären

Titel: Chimären
Autoren: Alexander Kröger
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ablegen.
      Obwohl die äußeren Veränderungen der beiden Versuchstiere zumindest anfangs nur durch die vier Eingeweihten wahrgenommen wurden, blieben sie streng vor allen anderen Angehörigen des Instituts verborgen. Lediglich Susan Remp, die die Dokumentation zu verwalten hatte, war durch die Berichte und Fotos, mit denen sie die Datenbank zu beschikken hatte, zumindest formal-theoretisch informiert – und knapp Dr. Lehmann, der Institutsinhaber, natürlich.
      In der Morgen- oder Abenddämmerung allerdings ließen es sich Shirley Lindsey und Boris Remikow, den zu Schäffi eine eigenartige, weil nicht zugetraute Zuneigung erfasst hatte, nicht nehmen, mitunter längere Spaziergänge in der weiteren Umgebung des Instituts zu machen. Schließlich brauchten die Schützlinge andere Eindrücke von der Welt, als ständig jene aus dem Institut – so hatte sich Shirley eine Rechtfertigung gegenüber Lehmann vorgenommen, falls er etwas gegen ihre Eigenmächtigkeit vorzubringen hätte, die immerhin einen Verstoß gegen die von ihm festgelegte strenge Geheimhaltung darstellte und in der Tat ein gewisses Risiko barg.
      Während eines solchen Abendspaziergangs geschah für Shirley Lindsey das Wunder: Sie führte Lux an der Leine in einer wenig belebten Straße eine Reihe parkender Autos entlang. Als sie auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite die Grünanlage erreichen wollte, rollte unversehens ein PKW heran. Sie hielt Lux kurz und verharrte. „Ein Auto!“, rief sie warnend.
      Guttural, aber für Shirley deutlich zu verstehen sagte Lux „Auto“ und blickte treuherzig zu ihr empor.
      Shirley Lindseys Herz machte buchstäblich einen Hopser. Sie beugte sich zu Lux hinab und drückte ihn heftig an sich. „Hast du eben ,Auto’ gesagt? ,Auto’?“
      Und er sah sie an und knurrte kehlig „Auto“.

    N ach Hörensagen und eigenem Vorstellungsvermögen glaubte Shirley Lindsey zu wissen, wie mit Kleinkindern umzugehen sei und wie diese sich im Allgemeinen entwickeln. Mit einer derartigen Rasanz aber hatte sie bei Lux nicht gerechnet – was dessen geistige Fortschritte anbelangte. Die körperlichen blieben ohnehin nicht vergleichbar, da Hunde – anders als der Mensch – nicht zu ausgesprochenen Nesthockern zählten.
      Da im Institut herausgefunden wurde, dass sich das Wachstum des Eingepflanzten nach dem des Wirtsorganismus richtet, war das Ergebnis natürlich nicht überraschend, aber wie ein Wunder dennoch.
      Erwartungsgemäß hatten die Probanden zunächst Schwierigkeiten mit dem Sprechen, da andersgeartete Zungen und Gaumen die Lautbildung beeinträchtigten. Durch regelmäßiges Üben aber gelang es nach drei Monaten, einen Entwicklungsstand zu erreichen, der eine Kommunikation auf dem Niveau dreijähriger Kinder gestattete. Im Wesentlichen die vier: Lux, Shirley, Boris und Schäffi hatten ihr eigentümliches Vergnügen, zu tollen, sich in der Kindersprache zu unterhalten, Spielzeuge für die „Kleinen“ zu erfinden und sich an deren Fortschritten zu erfreuen, die sie im Austausch machten. Denn natürlich blieben eine Menge Lebensäußerungen der jeweiligen Abstammungskomponente vorbehalten. Wünsche der Heranwachsenden konnten diese sich wegen ihres Körper baus oftmals nicht selber erfüllen. Alle Arbeits- und Hilfsmittel sind von der Physis des Menschen geprägt. Hygiene und Ernährung erforderten ihre Spezifik. Und mehr als einmal musste sich Shirley korrigieren, wenn sie eine allzu heftige Vermenschlichung erwartet hatte. Schließlich hatte das Menschliche im Kopf der Wesen seine Wurzeln im Hund.

    M anuel Georges hatte seinen ersten größeren Auftrag.
      Im Zuge der Restaurierung des Museums für Gesundheit sollte der Eingangsbereich erneuert werden, und man hatte Manuels Entwürfen für Türen und Geländer den Vorzug gegeben. Die Aufgabe nahm ihn voll in Anspruch bis weit in die Abende hinein. Er begleitete im Stahlwerk den Guss und kontrollierte den Fortschritt auf der Baustelle. Nebenbei betrieb er intensiv die Gründung der eigenen Firma.
      Shirley Lindsey Freizeit wurde durch den Großversuch ebenfalls arg verkürzt. Aber noch aus einem anderen Grund kamen ihr Manuels Engagement und seine Beanspruchung sehr zu passe. Sie fühlte sich trotz oder gar wegen der Erfolge ihrer Arbeit außerordentlich bedrückt, hatte Bedenken, Manuel würde es bemerken und sie nach der Ursache fragen. Die konnte sie aber nicht preisgeben, auch ihm nicht. Und sie befürchtete, dass daraus ein
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