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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag
Autoren: Frau Freitag
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Bildungsprogrammen fragt dann der Jugendcoach, die Supernanny oder der Superlehrer: »Und wie kam es, dass du zwei Jahre nicht mehr zur Schule gegangen bist und jetzt dreißig Strafanzeigen hast?«
    »Hab ich mit falsche Freunde rumgehangen.«
    Ich frage mich: Wer sind diese falschen Freunde und was sagen diese falschen Freunde, wenn sie mit ihren Eltern zum Elterngespräch in die Schule gehen? »Ich war einer dieser falschen Freunde«? Sicher nicht.
    Jeder Vater und jede Mutter gehen immer ganz selbstverständlich davon aus, dass ihr Kind ein harmloses Lamm ist und nur durch den schlechten Einfluss … Da meckern die Türken über die Araber, und die Kroaten, Albaner und Russen sagen, die Moslems seien kein guter Umgang.
    Mit solchen Gedanken sitze ich im Bus und quäle mich. Bei uns gibt es viele falsche Freunde. Was würde denn ein richtiger Freund sagen?
    »Mach das lieber nicht! Klau nicht, das darf man nicht!« – »Komm, wir gehen lieber zum Unterricht und nicht zu Lidl.« – »Lass uns mal lieber für die Mathearbeit üben, statt noch mehr Handys abzuziehen.«
    Wo findet man denn solche Leute? Bei uns nicht. Trotzdem komisch, dass alle Eltern denken, gerade ihr Kind sei der reinste Engel.
    Das Lehrerzimmer
    In jeder Schule ist dies der schönste Ort: das Lehrerzimmer. Dorthin drängt es den gebeutelten Lehrer nach jeder Unterrichtsstunde. Dort fühlt er sich geborgen, dort wird er verstanden, da findet er Ruhe und Kaffee.
    Als Schüler darf man nicht ins Lehrerzimmer. Man darf höchstens an der Tür stehen und irgendwelche wichtigen Dokumente reinreichen. Mit ernstem Gesicht geben die Schüler uns ihre Hausaufgaben, Hefter oder Atteste, als wären es Todesanzeigen: »Frau Freitag, können Sie das bitte bei Frau Kriechbaum ins Fach legen?« Dabei lehnen sie sich weit in den Raum hinein, um möglichst viel von der Lehrerzimmerszenerie mitzukriegen. In diesem, für sie verbotenen Raum, wo es von Lehrkräften nur so wimmelt, von Lehrern und Lehrerinnen, die dort rumsitzen, vorm Schwarzen Brett oder am Kopierer stehen, selbstgeschmierte Pausenbrote essen, Kaffee trinken, nicht rauchen und die ganze Zeit reden und viel lachen. Auf die Schüler wirkt der Lehrer im Lehrerzimmer anders, neu, unbekannt, ja, geradezu unheimlich menschlich und dadurch umso skurriler. Was geht da ab? Was machen die Lehrer da? Sie sind dort irgendwie zu entspannt … Aber wovon der Schüler nichts ahnt, das sind die unausgesprochenen Verhaltensregeln im Lehrerzimmer.
    Die kann man schon morgens vor der ersten Stunde beobachten. Wer ist zuerst da? In jedem Kollegium gibt es die Sehrfrüh-Erscheiner, die Dann-Eintrudler und die Auf-den-letzen-Drücker-Kommer. Da ich zur ersten Fraktion gehöre, kann ich die Ankunft der anderen Gruppen immer genau verfolgen. Wir Sehr-früh-Erscheiner haben unsere Seht-wie-organisiert-ich-bin-Routine. Die geht so: Gang zum Fach, alles rausnehmen, sofort sortieren, und »Muss ja, muss ja« stöhnen, dann der Blick auf den Vertretungsplan, ein Interesse geheucheltes: »Ach, Frau Frenssen fehlt ja immer noch. Muss ja doch was Ernsteres sein.« Dabei noch die lustigen Sprüche der Kollegen kommentieren, wie etwa: »Na, heute hitzefrei?« oder »Steh ich nicht auf dem Plan? Dann kann ich ja gehen.« Diese Sprüche kommen vor allem von den Dann-Eintrudlern, denn die geben sich betont lässig. Die Sehr-früh-Erscheiner sind währenddessen damit beschäftigt, sich zu organisieren, denn sie gehören automatisch zu den Ich-hab-alles-im-Grifflern. Ihre Aufgabe ist es allerdings auch, auf die dummen Sprüche etwas wie »Er nun wieder« oder »Herr Johann – du hier und nicht in Hollywood?« zu erwidern.
    Die Dann-Eintrudler gehen auch nicht direkt zu ihren Fächern, sondern holen sich erst mal einen Kaffee und berichten lautstark aus ihrem spannenden Privatleben, denn sie wollen sichergehen, dass man sie als Ich-könnte-auch-was-ganz-anderes-Macher wahrnimmt. Und kurz vorm Klingeln oder auch kurz danach erscheinen die Auf-den-letzten-Drücker-Kommer. Abgehetzt hechelnd stürzen sie nur ins Lehrzimmer, um gleich hinten wieder raus zum Unterricht zu rennen. Immer tragen sie Hefter, Bücher oder sonst was im Arm, während sie alle Fragen mit: »Tut mir leid, ich hab grad gar keine Zeit« abwehren. Sie haben nie Zeit, sie vermitteln einem den ganzen Tag das Gefühl, dass sie irgendwie mehr Stunden unterrichten würden als man selbst. Von ihnen hört man viel über »die da oben«, sie klagen und jammern am meisten. Leiden
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