Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag
Autoren: Frau Freitag
Vom Netzwerk:
alles wiederfindet: Freund- und Feindschaft, Liebesdramen, Eifersucht, Hass, Ein-, An- und Aussichtslosigkeit, Gemeinschaft, Einschluss, Ausschluss, Mobbing, alle Arten geistiger Verwirrung, Sympa-, Empa- und Antipathie. Hier entstehen Modetrends, seelische und körperliche Leiden werden durchlebt, hier kann sich jeder jeden Tag neu erfinden – und mittendrin ich und mein Versuch von Unterricht. Mehr Action kann ein einzelner Mensch gar nicht verarbeiten.
    Ihr erlebnishungrigen Extremsportler, vergesst den Nordpol und den Mount Everest, hört auf, euch mit Rasierklingen zu ritzen, wenn ihr Action braucht und euch mal so richtig spüren wollt, dann kommt und arbeitet in der Schule. Am Ende werdet ihr sagen: Na, langweilig war’s nie und leben konnte man davon auch.
    Mein Lieblingstag in jeder Arbeitswoche ist der Montag. Sonntagabend kann ich gar nicht abwarten, ins Bett zu kommen, und gehe darum immer schon sehr früh auf die Couch – zur Lindenstraße –, denn Montag darf ich wieder hin. Zur Schule!
    Ich liebe die Montage, weil da die Schüler immer so gut drauf sind. Leider habe ich montags nur vier Stunden. Ich beneide meine Freundin Fräulein Krise, die montags gleich sieben Stunden mit den ausgeruhten und wissbegierigen Kindern verbringen darf. Meine Montage sehen so aus:
    Ich schlendere um zwanzig nach sieben durch den Verwaltungstrakt und schmettere jedem, den ich sehe, ein fröhliches »Guten Morgen« entgegen – vor der offenen Schulleitertür immer besonders laut, damit man bemerkt, dass ich schon so früh zur Arbeit erscheine. Um viertel vor acht gehe ich in meinen Klassenraum und bereite den Unterricht vor. Die Tafel muss blitzen, Bücher aus dem Schrank – die Schüler sollen nicht so schwer schleppen –, Klassenbuch auf den Tisch, meine Unterrichtsvorbereitung dazu, ich überfliege noch schnell die Verlaufsplanung, die Sach- und die Bedingungsfeldanalyse, überprüfe die Lernziele und lüfte.
    7.50 Uhr. Jetzt können sie kommen, die kleinen Racker. Ich bin bereit. Kommt her und lernt! Auf dem Gang: Totenstille. Dann Schritte, ah, jetzt geht’s los … Nein, ein Schüler der Parallelklasse.
    7.55 Uhr: Fenster wieder zu – wegen des Straßenlärms.
    8.00 Uhr: Mit dem Klingeln kommt Ronnie durch die Tür und lässt sich erschöpft vor mir auf einen Stuhl fallen. »Guten Morgen, Ronnie. Na, hattest du ein schönes Wochenende?« »Ergr.« »War nicht gut? Na ja, hol erstmal dein Buch.«
    8.07 Uhr: Drei gackernde Teenagermädchen fallen gemeinsam durch die Tür. Kein »Sorry, I’m late«. Oder wenigstens ein dahingemurmeltes »Tschulljung«. Bis 8.20 Uhr öffnet sich die Tür in rhythmischen Abständen, und nach und nach tauchen fast alle Teilnehmer meiner Stunde auf – der letzte um 8.40 Uhr.
    Ich habe mit der Zeit gelernt, meinen Unterricht in sich wiederholenden Zeitschleifen abzuhalten. Wie beim Tanzen: zwei Schritte vor und einen zurück. Klappt schon ganz gut. Während ich den neu Dazukommenden Seitenzahlen im Englischbuch nenne, beschreibe, was wir gerade machen und was wir nun schon seit mehreren Stunden machen, verwickle ich die zwei Leistungsträger des Kurses – besonders viel haben die nicht zu tragen – in ein zähes Frage-Antwort-Spiel. Ins Klingeln hinein rufe ich die Hausaufgabe für die nächste Stunde. Keiner schreibt sie auf, aber das ist egal, denn es wird sie eh niemand machen. Auch das habe ich schon gelernt. Wenn du keine Hausaufgaben aufgibst, kann auch keiner die Hausaufgabe nicht machen. Ich liebe diese Montage. Auch weil sie immer genau gleich beginnen.
    Nein, das stimmt nicht ganz, die Reihenfolge, in der die Schüler zu spät kommen, kann sich jede Woche ändern. Nur Ronnie kommt immer als Erster und hat auch jeden Montag schlechte Laune.
    Besser als die Montage sind eigentlich nur Vertretungsstunden. Man weiß nie, was da so kommt. Und meistens kommt zunächst gar keiner. Dann trudeln so nach und nach doch einige Schüler ein. Die Mädchen setzten sich erstmal mittig hinten ans Fenster und polieren ihr Make-up auf. Eine gibt ‘ne Runde Handcreme aus, dann wird gepudert und geeyelinert. Interessiert betrachte ich, mit welcher Routine sie sich die Gesichter bemalen. Ein Beleg dafür, dass regelmäßiges Üben den Lernerfolg steigert. Würden die sich nur mit halb so viel Energie um die Schule kümmern, wären wir schon längst ein Elitegymnasium.
    Dann kommen die Jungs. Die wollen sich alle in die letzte Reihe setzen. Da das nicht geht, sitzen sie am Ende
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher