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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag
Autoren: Frau Freitag
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Lieblingswörter, ach ja, und natürlich »Arzt«. Aber irgendwann reicht’s auch mal.
    »Mehmet, gib mir mal die Telefonnummer von der Ausländerbehörde.«
    »Hä?«
    »Ich will da anrufen und mich beschweren, die dürfen dich nicht zehn Stunden festhalten. Das ist ein Skandal!« Mehmet gibt zu, dass er nur am Vormittag dort war. Mittlerweile weiß ich, auf welchen Ämtern man »voll lange warten musste, ich schwöre«, und wo man einen Termin braucht: »Wir haben drei Stunden gewartet und dann mussten wir wieder gehen, weil wir keinen Termin hatten.« Und natürlich der Arztbesuch. Den lieben sie. Warum sagte nie jemand in der mündlichen Prüfung für den Realschulabschluss: »My favourite hobby is football and Arztbesuch«?
    Die lieben Kleinen bevölkern die Wartezimmer. Meine Klasse – ein Rentnerverein.
    Ich glaube, ich war in meiner eigenen Schulzeit vielleicht dreimal beim Arzt – von Zahnarztterminen und Kieferorthopädenbesuchen mal abgesehen. Auch Arzttermine liegen bei den Schülern meiner Klasse grundsätzlich donnerstags und dauern
    dann den gesamten Vor- und Nachmittag.
    »Warum gehst du nicht Montagnachmittag nach der Schule?«
    »Da muss man so lange warten.«
    Und da meine Klasse nachmittags ja so viel zu tun hat – wahrscheinlich warten da noch viele weitere Behördengänge auf sie –, können sie sich ihre Arzttermine nur auf die Vormittage legen.
    Natürlich bin ich für eine ärztliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung von Schulkindern. Mir geht es dabei auch gar nicht um die Kosten für die Allgemeinheit – ein beliebtes Thema im Lehrerzimmer. Lehrer haben ja eigentlich zwei Jobs – im Klassenraum sind sie Lehrer, aber im Lehrerzimmer sind sie vor allem Steuerzahler und Kostenüberwacher. Schön, dass sich meine verbeamteten Kollegen so um die gesetzliche Krankenkasse sorgen, denn ich bezweifle, dass meine Schüler privat versichert sind.
    War ein Schüler nicht beim Arzt oder bei einer Behörde, heißt das noch lange nicht, dass er nicht trotzdem fehlen kann. Und die selbstverfassten Entschuldigungen sind doch sowieso schöner als diese nichtssagenden Atteste. Da gibt es die starken Kopfschmerzen, gefolgt von Bauch- und Magenschmerzen, aber auch Schwindel, Übelkeit und natürlich das hohe Fieber. Herrlich auch die Bein- und Handschmerzen oder der starke Sonnenbrand. Meine absoluten Favoriten sind allerdings die schon im Voraus angekündigten Ferienverlängerungen.
    »Frau Freitag, wir fahren aber schon am Montag Türkei.«
    »In die Türkei. Aber Emre, da sind doch noch gar keine Sommerferien.«
    »Is doch egal.«
    Und es geht auch mitten im Schuljahr. Reinhold, der mit seinen Eltern als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen ist, erzählte mir mitten im ersten Halbjahr: »Ich fahre morgen drei
    Wochen mit meinem Vater nach Russland.«
    »Aber Reinhold, wir haben doch gar keine Ferien.«
    »Na und?«
    Wenn die Schüler dann wieder in der Schule auftauchen, kommen sie mit den schärfsten Entschuldigungen: »Mein Vater hat unsere Pässe geklaut und versteckt, und wir mussten zur Botschaft, und wir haben keinen Rückflug aus Russland nach Deutschland bekommen.« Und immer wieder gehen verschiedenste Fluggesellschaften pleite.
    Schön auch: »Ich habe nicht unentschuldigt gefehlt. Ich habe verschlafen. Was kann ich dafür?« Dann gibt es natürlich noch den Scheißbus, die Scheiß-U-Bahn, meine Tasche hier liegengelassen und meinen Pulli dort vergessen. Oder der Schlüssel und die Geschwister, die immerzu irgendwohin gebracht oder abgeholt werden müssen. Und das berühmte: »Ich musste was klären.« »Was klären« heißt nie etwas Gutes. Meistens werden Differenzen mit den Fäusten »geklärt«, und darüber möchte man als Lehrer eigentlich nichts Genaueres wissen.
    Meine armen Schüler, die haben so viel zu tun. Ich wäre dafür, ihnen die Anzahl der Wochenstunden zu kürzen. Oder sie sollen einfach mal sagen, wie es wirklich ist: »Frau Freitag, ich schwör, ich hatte echt kein Bock auf Schule.«
    Fehlzeitenspitzenreiter in meiner Klasse ist Emre. Er ist eigentlich öfter nicht da als da. In den letzten Jahren hat er nie irgendeine Entschuldigung abgegeben und dementsprechend sah auch sein Zeugnis aus. Da er ziemlich schlau ist, schafft er trotzdem immer mit Ach und Krach die Versetzung. Dieses Jahr habe ich ihn endlich so weit, dass ich für die Hälfte seiner Absentien eine schriftliche Entschuldigung erhalte. Er schreibt sie, und Mama setzt ein krakeliges Geschmiere drunter. Emre
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