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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag
Autoren: Frau Freitag
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ist ihr Ding.
    Um 8.10 Uhr sind alle weg außer ein paar Sehr-früh-Erscheinern, die erst zur zweiten Stunde haben und deren Bewegungen sich nun so sehr verlangsamen, dass man fast meinen könnte, sie seien erstarrt. Sie schleichen von ihrem Fach zum Kopierer, zurück zum Schwarzen Brett, lesen sich dort alles ganz genau durch: »Das kann ich hier doch ab machen, oder? Die Gesamtkonferenz war ja schon vor zwei Wochen.«
    In den Pausen füllt sich die Lehrerlounge wieder mit Leben. Und jetzt greifen die ungeschriebenen Gesetze der eigentlich nicht, aber irgendwie doch festgelegten Sitzordnung an den zu wenigen Tischen. Für neue Kollegen ein Spießrutenlauf, ein Fettnäpfchen-Slalom allererster Güte. Für alle anderen ein Zuhause, ein Ort des Lebens mit all seinen Facetten.
    Ich liebe das Lehrerzimmer so sehr, dass ich auch nach Unterrichtsschluss gerne noch stundenlang dort abhänge. Es ist Café, Club und Wohnzimmer zugleich. Ich denke ernsthaft darüber nach, mir in meiner Wohnung ein eigenes Lehrerzimmer einzurichten.
    Neulich waren wieder Schulfremde im Lehrerzimmer. Also Leute, die keine Lehrer sind, aber trotzdem irgendwie in der Schule arbeiten wollen. Gerne sind das nicht so ganz erfolgreiche Künstler, besonders engagierte Eltern oder Menschen, die mal früher Lehrer werden wollten, aber dann doch keine Lehrer geworden sind. Jedenfalls tummeln diese Leute sich gerne an unseren Schulen und bringen mitunter den gewohnten Trott durcheinander. Diese Schulfremden erkennt man sofort. Sie sind irgendwie ganz anders als wir Lehrer. Der größte Unterschied: Sie sind immer voll gut drauf. Sie haben immer viel zu erzählen, meistens haben sie wahnsinnige Projektideen, die sie mit unseren Schülern durchführen wollen: »Und, meinst du, wäre das möglich, wegen Gender und so, diese Doku über lesbischen Sex zu zeigen?«
    Ich: »Klar, vielleicht nicht in der Siebten, aber mit der Achten sicher.«
    Die Schulfremden sind sehr interessiert, immer neugierig und voll offen: »Ach, und du würdest dich also als Gangsta bezeichnen.« – »Ach, und du rappst, spannend, kann ich das mal hören? Und dieses Gangbang – erzähl mal.«
    Sie lieben es, einfach mal mit in den Unterricht zu kommen: »Ach, kann ich einfach mal mitkommen? Geht das?« und dort kann man sie dann nach Lust und Laune mit ein paar Sprüchen und ein wenig Unterricht voll begeistern oder extrem schockieren.
    Eines haben sie allerdings nicht. Sie haben kein Timing. Sie bewegen sich sehr langsam, das mit den Pausen kapieren sie nie, und versuch mal einem Schulfremden die Anfangszeiten der Schulstunden beizubringen. Einen ganzen Schultag so einen an der Backe zu haben schlaucht total: »Ach, hat es schon ge klingelt? Geht es jetzt gleich weiter? Ich wollte noch mal aufs Klo …«
    Sie schleichen dir den ganzen Tag hinterher und wollen alles immer sofort erklärt bekommen: »Und wie läuft das hier mit dem blabla und der blabla?« Aber vor allem sind sie heiß auf Schülerkontakt: »Ihr könnt ›du‹ sagen, so alt bin ich ja noch nicht.« (By the way, wer über neunzehn ist, steht für die Schüler schon mit einem Bein im Grab.)
    Und die Schüler, die lieben diese Schulfremden, denn endlich hört ihnen mal jemand zu. Plötzlich sind sie voll wichtig. Sie werden beobachtet, befragt, und was sie sagen wird, sogar notiert. Manche Schüler spielen sich auf, als wären sie Superstars, wenn Schulfremde da sind. »Wir können das Interview ja auch in der nächsten Stunde weiterführen, da hab ich bloß Mathe, is nicht so wichtig.«
    Aber wehe, die Schulfremden wollen mit den Schülern arbeiten. Wenn die von ihnen auch nur das kleinste bisschen Einsatz verlangen, dann heißt es schnell: »Kommt heute die Frau wieder? Is scheiße mit der Frau. Die Frau soll nicht mehr kommen.« Und plötzlich ist der stinknormale Unterricht bei Frau Freitag doch nicht so schlimm.
    Ich war Arzt
    Schlimm wird es bei Frau Freitag jedoch, wenn man nicht macht, was sie sagt, oder wenn man gar nicht erst kommt. Wären wir ein Betrieb, ich hätte nur noch einen Angestellten. Alle anderen schwänzen, dass es nicht mehr feierlich ist. Meine Klasse besteht aus chronisch kranken Nichtsaushaltern, die außerdem ständig ganz wichtige Termine auf jedem nur erdenklichen Amt haben. Natürlich immer donnerstags, denn da haben sie zehn Stunden.
    Freitag, zweite Stunde: »Mehmet, wo warst du gestern?«
    »Ich hab Entschuldigung. Ich war Ausländerbehörde.«
    »Behörde« und »Amt« – ihre
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