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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag
Autoren: Frau Freitag
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gehört zu den Coolen meiner Klasse. Er schreibt immer mit schwarzem Fineliner und bewegt sich in Zeitlupe. Er denkt, er sei Tony Montana aus Scarface .
    Am Mittwoch und Donnerstag war er nicht in der Schule. Freitag kommt er in der ersten Stunde wortlos auf mich zu und überreicht mir einen zehnmal gefalteten Zettel. Ah, denke ich, die Entschuldigung für gestern und vorgestern. Aber weil ich mit dem Unterricht beginnen möchte, stecke ich den Zettel erst mal ungelesen in die Hosentasche.
    In der Pause entfalte ich ihn und erwarte einen ausführlichen Bericht, warum es Emre nicht möglich war, das Bildungsangebot in den letzten zwei Tagen wahrzunehmen. Emre nimmt es mit seinen Erklärungen immer sehr genau, und die Entschuldigungen können sich schon mal über ein DIN-A4-Blatt erstrecken.
    Ich lese und lese, aber statt der üblichen »Bauchschmerzen, Schwindel, hohes Fieber« entziffere ich in Emres typischer Fineliner-Schrift einen Entwurf für einen Raptext. »Nicht mit mir« – eine Abrechnung mit Möchtegern-Rappern, die namentlich genannt werden, mir aber unbekannt sind.
    Ich lese den Text dreimal. Nichts reimt sich. »Scheine« und »bleibe« ist doch kein sauberer Endreim. Kein klassisches Reimschema ab ab oder aabb . Alles abcdefgh und dann jgkadftu . Wie will er das denn vortragen? Geht Rap auch ohne Reime? Sind die Reime in der Mitte der Zeilen versteckt und erschließen sich nur bei bestimmter Betonung? Ich lese den Text noch mal laut. Wippe mit dem Kopf, leider habe ich keine Beats. Dann klingelt es, und ich stecke den Zettel erst mal wieder ein.
    Abends habe ich Besuch, ein Haufen Lehrerfreunde kommt zum Essen. Als wir vollgefressen am Tisch rumhängen, fällt mir der Text wieder ein, und ich zeige ihn meinen Freunden. Zum Glück sind auch Musik- und Deutschlehrer dabei. Nachdem wir den Inhalt ausführlich analysiert haben, wird wild über moderne Reimformen diskutiert: »Emre fehlt noch der HOOK!« stellt der Musiklehrer fest. Der Deutschlehrerfreund nimmt sich einen Stift und verbessert die Rechtschreibfehler: »Ich nehme grün, das wirkt nicht so demotivierend. Mach ich immer so.« Der Musiklehrer schlägt auf dem Esstisch einen Beat und versucht immer wieder, den Text zu rappen: »Da stimmt was nicht mit der Silbenanzahl. Vielleicht sollte man die letzten beiden Wörter in der ersten Zeile weglassen.« Nach einer Stunde haben wir das Lied fertig. Stolz lassen wir es vom Musikkollegen vortragen. Wir sind mit unserem Ergebnis sehr zufrieden. Emre wird sich freuen.
    Fräulein Krise fragt: »Ob er schon gemerkt hat, dass ihm sein Text fehlt?«
    »Bestimmt«, antwortet der Deutschlehrer. »Der sitzt jetzt zu Hause und rappt seinen Entschuldigungszettel.«
    Ab zur Analyse
    Ohne Fräulein Krise und Frau Dienstag wäre ich schon längst in einer Burn-out-Klinik. Seit Beginn des Referendariats laufe ich hochtourig, im oberen Bereich meiner persönlichen Leistungsgrenze. Sobald irgendetwas passiert, was nicht geplant oder bedacht wurde, gerät mein gesamtes System ins Schleudern. Der Motor hakt, es entstehen komische Geräusche, und in diesen Momenten wende ich mich immer an Frau Dienstag und Fräulein Krise – zur Analyse.
    Fräulein Krise schwört auf paradoxe Intervention und Frau Dienstag liebäugelt mit: »Hart bleiben, da sag ich einfach nein, die Zügel erst mal anziehen.« Ich glaube, Frau Dienstag träumt wie ich davon, den Unterricht als ein zwei Quadratmeter großer Mann mit tiefer Stimme abzuhalten, der die Schüler durch bloßes Ein- und Ausatmen in Schach hält. Leider gehören wir beide eher zur leptosomen Fraktion, die sich mit anderen Tricks durchsetzen muss.
    Frau Dienstag unterrichtet Mathematik und Chemie an einer ziemlich kleinen Schule. Sie schwört auf Struktur und kleine Klassen und kann sogar ihr Auto selbst reparieren. Wir haben uns im Referendariat kennengelernt. Ohne sie hätte diese aufregende Zeit sehr viel weniger Spaß gemacht. Wahrscheinlich waren wir bundesweit die einzigen Referendare, die sich nicht über ihre ersten Sommerferien freuten: »Es könnten doch wenigstens die Seminare stattfinden, wenn wir schon in den Ferien nicht in die Schule dürfen.«
    Nie hört man von Frau Dienstag: »Geht nicht, kann ich nicht, versteh ich nicht.« Wenn sie sich nicht gerade in der Produktion von Unterrichtsmaterial, Gebäck, Tiefkühlkost oder kleinen Möbeln befindet, trainiert sie für den Halbmarathon. Den ganzen Marathon würde sie auch schaffen, aber der dauert ihr zu lange. Sie
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