Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chili und Schokolade

Chili und Schokolade

Titel: Chili und Schokolade
Autoren: Lilli Beck
Vom Netzwerk:
Moment frösteln. Wie komme ich nur auf derart ketzerische Gedanken? Genau wie gestern Abend vor dem Einschlafen. Schließlich führe ich doch das Leben, von dem ich als kleines Mädchen immer geträumt habe. Schon damals wollte ich heiraten, Kinder bekommen und in einem eigenen Haus mit Garten leben.
    Plötzlich steht Konrad im Raum und scheucht Oscar mit forscher Stimme vom Sofa. «Los, alter Knabe, wir gehen laufen!»
    Mein sportlicher Ehemann trägt einen gutsitzenden Sportanzug und nickt mir beiläufig zu, bevor er zum Kühlschrank marschiert, um seinen täglichen Energiedrink zu sich zu nehmen. Oscar eilt ihm schwanzwedelnd hinterher.
    «Guten Morgen», begrüße ich ihn heiter und versuche, seine Unfreundlichkeit von gestern Abend zu vergessen.
    «Morgen», kommt die knappe Antwort. Energisch zieht Konrad den Reißverschluss seiner anthrazitfarbenen Jacke hoch, aktiviert den Schrittzähler am Handgelenk, und schon sind beide draußen.
    Ich bleibe etwas ratlos zurück. Gedankenversunken falte ich die Kaschmirdecke ordentlich zusammen und schüttle die Kissen auf. Anschließend poliere ich das Silberbesteck, sortiere die weißen Blumen aus den bunten Sträußen unserer Gäste und arrangiere sie zu einem Strauß. Konrad mag keine farbigen Blumen. Die stören angeblich den Gesamteindruck.
    Gerade als ich ins Bad will, um zu duschen, höre ich Konrads Schlüssel in der Haustür. Seltsam. Sein Rundlauf dauert doch normalerweise viel länger als dreißig Minuten. Neugierig eile ich zur Tür und bleibe irritiert stehen.
    Der verstörte Ausdruck in Konrads verschwitztem Gesicht, dazu sein verschmutzter Sportanzug und das merkwürdige Paket aus Zeitungspapier, das er auf dem Arm trägt, machen mir Angst. Stumm hält er mir das Bündel entgegen.
    «Oscar …», flüstere ich mit zittriger Stimme und zwinge mich genauer hinzusehen. An einer Seite blitzt Oscars Nase hervor, an der anderen hängt eine Pfote kraftlos herunter. Er gibt keinen Laut von sich.
    «Er wurde angefahren», murmelt Konrad leise.
    «Schnell, leg ihn aufs Sofa.» Panisch stürze ich zum Telefon, um unseren Tierarzt anzurufen.
    Konrad platziert das eingewickelte Tier auf der weißen Kaschmirdecke, tritt dann zu mir und nimmt mir den Hörer aus der Hand. «Es hat keinen Sinn mehr, Evelyn. Oscar ist tot.»
    Verständnislos starre ich ihn an. «Wieso tot? Gerade hast du gesagt, er wäre nur angefahren!»
    Schuldbewusst senkt er den Kopf. «Ja … aber er hat es leider nicht überlebt.»
    «Du hast nicht aufgepasst!», schreie ich verzweifelt.
    Konrad versucht, mich zu beruhigen. «Ich glaube, er hat nichts gespürt.»
    Zornig schubse ich ihn weg. Mein armer kleiner Oscar! Er war doch eben noch so quicklebendig.
    «Vielleicht tröstet es dich, dass er in seinen letzten Minuten glücklich gewesen ist», erklärt Konrad, als würde so eine banale Bemerkung meinen schmerzlichen Verlust mildern. «Er wollte zu einer läufigen Hündin auf der anderen Straßenseite.»
    «Was für eine läufige Hündin?» Meine Stimme erstickt in Tränen.
    «Eine kleine schwarze Pudeldame. Ich glaube, sie wohnt im Freesienweg. Oscar hat sich losgerissen und ist über die Straße gerannt. Auf meine Befehle hat er nicht mehr gehört. Er ist einfach losgestürmt.» Konrad lächelt versonnen. «Ja, unser Oscar war zwar nicht mehr der jüngste, aber immer noch ein toller Hund! Ich muss jetzt erst mal unter die Dusche. Und danach möchte ich frühstücken.»
    Als wäre es vollkommen normal, einen toten Hund nach Hause zu bringen, bestellt Konrad Frühstück und verschwindet danach im Bad.
    Ich weiß nicht, ob ich in einen hysterischen Lachanfall oder in einen Weinkrampf ausbrechen soll. Vorsichtig nehme ich das Zeitungspapier zur Seite. Mein süßer, kleiner Oscar sieht aus, als würde er schlafen. Nur das blutverschmierte Fell passt nicht zu dem Eindruck. Laut schluchzend wickle ich ihn in die weiße Kaschmirdecke ein. Darin werde ich ihn begraben.
    Mit einem Spaten aus Konrads kostbarer Sammlung beginne ich wenig später neben Oscars Stammpinkelbaum zu graben. Normalerweise darf man die Geräte nur anschauen. Anfassen ist verboten. Damit graben sowieso. Mindestens zwanzig dieser Dinger hängen in extra dafür angefertigten Schlaufen an den Garagenwänden. Da gibt es eine Kaffeebohnenschaufel aus Guatemala, einen Soldaten-Klappspaten aus irgendeinem Krieg und natürlich die Schaufel vom ersten Spatenstich zu unserem Haus. Den Grund für diese seltsame Passion hat mir mein Mann oft
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher