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Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
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Karatekämpfer, aber doch wohl kräftig genug, um so einem Weib den Arm zu verdrehen.
    Den maßgebenden Teil seiner Nacktheit bedeckt, hatte er ein wenig an Sicherheit gewonnen, weshalb er sich rasch umwandte, um irgend etwas zu unternehmen.
    Aber die Frau war bereits wieder verschwunden. Sie war ungewöhnlich schnell, schnell wie ein Alien, und Ran überlegte, ob er vielleicht an Halluzinationen leide. Nun – wenigstens diese Sorge brauchte er sich nicht zu machen. Denn am Spiegel seines Badezimmerschrankes klebte ein Zettel, der auch bei Berührung ein solcher blieb. Das bewies immerhin die Existenz dieser Frau. Zudem sollte so ein Zettel die Geschichte ein Stückchen vorwärtstreiben. Tat er aber zunächst nicht, denn der Sinn der Nachricht blieb Ran völlig verborgen:
     
    REMEMBER ST. KILDA

3
    Das Telefon läutete. Seit dem einen Anruf, der die Vernichtung seiner Person eingeläutet hatte, wurde Ran unruhig, wenn das Telefon klingelte.
    Es war Andreas X. Faux, Leiter einer interdisziplinären Kunst- und Künstlerfinanzierungsgesellschaft. Ran hatte ihm vor einiger Zeit als bezahlter Experte beigestanden, als es darum gegangen war, eine für Enten ideale Teichlandschaft in der Wiener Secession einzurichten. Seither hatte Ran noch an einigen Projekten teilgenommen, jedesmal überrascht, wie hoch die Budgets dieser Leute waren, solange die Show nur aufwendig genug war, ein internationales Niveau behauptet wurde, innovative Praktiken zur Anwendung kamen und sich jede Menge Kuratoren auf die Zehen traten. Die Frage nach dem Sinn dieser Projekte, also der Inszenierung eines zeitgemäßen Kunstgefühls, stellte sich Ran nicht, nicht nur, weil er nichts davon verstand – war er doch bloß das Werkzeug in den Händen eines Künstlers –, sondern weil er auch begriffen hatte (entgegen seiner eigenen romantischen Vorstellung von Kunst), daß das Projekt weit hinter die Projektfinanzierung zurückfiel und daß folgerichtig die gelungensten Projektfinanzierungen völlig ohne Projekt auskamen, da die Künstler ja gar keinen Hehl daraus machten, daß im Zuge der Verkapitalisierung aller Gesellschaftsbereiche nicht nur, sondern vor allem die sogenannte Avantgarde (die Marke Avantgarde) die vollkommene Unterwerfung praktiziert, ja im Grunde erst mittels dieser Unterwerfung den Anspruch, Kunst zu sein, erfüllt. Was natürlich gerade in der Kunst nichts Neues ist – neu ist, daß der Kontextkünstler (der alle, die sich dem Kontext bzw. der Kontextproduktion verweigern, für faschistoid hält) trotz seiner Habtachtstellung vor Industrie, Innovationssteuerung und Finanzierungsästhetik eine gewisse rebellische Körperhaltung zum besten gibt, und sei es nur, indem er schneller, undeutlicher und nichtssagender redet als die von der Avantgarde ungeküßt gebliebenen Menschen. Denn bei aller Bestrebung, die Kunst im allgemeinen aufzulösen und sie solcherart aus dem Betrachtungsanspruch des Kleinbürgers zu befreien, will der Künstler sich selbst natürlich nicht im allgemeinen auflösen, wie er ja auch sich selbst nicht aus dem Betrachtungsanspruch des Kleinbürgers befreien will, von dem er weiterhin, zumindest als Intellektueller, mißverstanden und gehaßt werden möchte. Indem jemand schneller, undeutlicher und nichtssagender redet als alle anderen, glaubt er, die Vorstellung des Kleinbürgers vom Intellektuellen als einem arroganten, vertrottelten und anmaßenden Menschen in geradezu idealer Weise zu erfüllen. Und liegt damit absolut richtig.
     
    Fauxi kündigte Ran an, ihn in einer Viertelstunde abholen zu wollen. Ran hatte sie völlig vergessen, die Einladung nach Altneudörfl, wo die Kontextinitiative Hausbau ihre soeben fertiggestellte Skulptur vorstellte: einen Flughafen mit allem Drum und Dran, Landebahn, Tower, Duty-free-Shop, sogar einigen kleineren Passagiermaschinen. Natürlich hatte es Proteste gegeben – zunächst, da die Anrainer nicht einsehen wollten, warum gerade in ihrer gottverlassenen Gegend ein Flughafen von beträchtlicher Größe entstehen sollte. Also erklärte man den Leutchen, daß es sich bei diesem Flughafen nicht um einen wirklichen Flughafen handelte, in dem Sinn von Wirklichkeit, daß Flugzeuge starten und landen, sondern um eine sozusagen fotorealistische Skulptur, aber kein Ready-made, wozu ja ein gebrauchter Flughafen genügt hätte, und auch keine soziale Skulptur, da – entgegen letzten Trends, die sich eben auch schon überholten – die Benutzung der diversen Einrichtungen dieses
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