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Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
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besaß er ein Chinalokal, noch spielte er Tischtennis, und so gut sein Deutsch war, so inexistent war sein Chinesisch, was bei in Österreich geborenen Menschen ja nicht unbedingt an ein Wunder grenzt. Seine Eltern – die inzwischen auf dem Zentralfriedhof lagen, was sich ebenfalls niemand vorstellen konnte und mochte – hatten keinen besonderen Wert darauf gelegt, ihm die Sprache und Eigenart einer Kultur nahezubringen, in der er sich nicht befand. Und wie die meisten Menschen, die in Kagran aufwuchsen, war ihm Asien eher gleichgültig. Dabei blieb es, allerdings betraute man ihn immer wieder mit Aufträgen, die eine speziell fernöstliche Färbung besaßen. Daß er kein Chinesisch sprach, wurde ihm zumeist als Tarnung ausgelegt. Sein Büro lief auf den Namen Böhm, um potentielle Kunden nicht gleich durch einen Namen abzuschrecken, mit dem viele Wiener die chinesische Mafia verbanden, rücksichtslosen Einsatz der Handkante und zu süßsaurem Schweinefleisch verarbeitete Kanalratten. Seine Frau, die Böhm, hatte sich vor fünf Jahren von ihm scheiden lassen. Sie hatte sich einen Chinesen einfach anders vorgestellt, chinesischer. Den Namen fürs Büro hatte sie ihm aber gelassen.
     
    Erst Tage später, nach einem weiteren Telefonanruf, der einzig aus dem vertrauten Lachen bestanden hatte, war Ran auf die Idee gekommen, Cheng zu engagieren. Das kam ihm zwar ausgesprochen amerikanisch vor (und deshalb unwirklich), andererseits sinnvoller, als unter die Decke zu kriechen.
    Cheng hatte sein Büro in der Lerchenfelder Straße, und natürlich war das auch seine Wohnung. Denn das Geschäft ging schlecht, sein Geschäft, während die großen Agenturen blühten. Für einen klassischen Detektiv war eigentlich kein Platz in dieser Stadt, in der ja auch kaum klassische Verbrechen begangen wurden. Beinahe alle konzentrierten ihre kriminelle Energie auf irgendeine Art von Wirtschaftsverbrechen, jeder wollte irgend jemand oder gleich einen ganzen Haufen von Leuten übers Ohr hauen, und die Detekteien sowie Anwälte, Steuerberater und die diversen Interessenvertretungen halfen dabei, ein Verbrechen zu begehen und zu vertuschen, ihm den Anschein fairer Geschäftspraxis zu verleihen oder die Kontrahenten ihrer Kunden schlichtweg der Unsportlichkeit zu überführen.
    Darum ging es: Jeder in dieser verwunschenen Stadt war ein Wirtschaftsverbrecher, und die Frage war nur, welcher Apparat einem zur Verfügung stand, ob man schlußendlich als Ladendieb oder Versicherungsbetrüger dastand oder als Banker oder Versicherungsmakler ungestraft monetäre Blutbäder anrichtete. Als Basis hierfür dienten natürlich nicht die bürgerlichen Gesetze, sondern ihre kunstvolle Unterwanderung mittels der Maschinerie des freien Marktes. Das Legale war ein Bild, eine Komposition, sein Gelingen also eine Frage künstlerischen Geschicks (unter der Berücksichtigung rasch mutierender zeitgenössischer Spielregeln).
    Cheng vertrat neuerdings einen völlig unwirtschaftlichen Ehrenkodex, etwas, auf das man selten traf, außer vielleicht in Romanen, wo Detektive selten über ihre Leasingraten und Stromrechnungen sprechen (und wenn, dann so, als könnte Lässigkeit die Eintreibung von Schulden verhindern). Weshalb es mit Aufträgen nicht so gut aussah. Genaugenommen war ihm soeben sein einziger entzogen worden. Für einen Hausbesitzer hatte er Nachforschungen über einen unliebsamen Mieter angestellt und war dabei auf das unspektakuläre Leben eines kleinen Angestellten gestoßen, eines bürgerlichen Asketen, dem nicht einmal sexuelle Verfehlungen nachzuweisen waren, ja dem überhaupt keine Sexualität nachzuweisen war, was verwunderte, aber nicht gegen ihn verwendet werden konnte. Der Auftraggeber schäumte, schließlich bezahlte er nicht für ein tadelloses Leumundszeugnis, sondern für ein Konzept, das die Kriminalisierung dieses Mieters ermöglichte. Der Sinn von Beweisen liegt ja nicht in ihrer Echtheit, sondern in ihrer Plausibilität (kein Mensch wird für eine Tat verurteilt, sondern dafür, daß ihm, wie keinem anderen, diese Tat zuzutrauen ist).
    Cheng war nicht unglücklich, daß man ihm diesen Fall entzogen hatte, andererseits lagen seine Finanzen im argen. An einen Kredit kam er nicht, da die Banken diese so gut wie nie an einen einzelnen Chinesen vergaben (als den sie Markus nun einmal sahen), sondern immer nur an Familienclans, ominöse Finanzgruppen oder wenn Anweisungen aus Shanghai oder Hongkong vorlagen.
    Ran trat in das kleine Büro.
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