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Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
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künstlichen Flughafens durch wirkliche Menschen nicht vorgesehen war, ja, ganz im Gegenteil, verboten war, so wie es verboten war, auf einem Rembrandt herumzukratzen – d.h., der Kontext bezog sich weniger auf das Ereignis Flughafen als auf die zukünftige Konservierung von Kulturgut.
    Nun, das Kunstunverständnis der einfachen Leutchen der Gegend war bei Hermann Nitsch steckengeblieben. Nitsch zog den Haß auf sich, weil man ihn verstand; für den österreichischen Kleinbürger war Hermann Nitsch der letzte hassenswerte Künstler und folglich der letzte Künstler überhaupt. Also konnten die Einheimischen nicht begreifen, wozu ein solcher Flughafen gut sein sollte, und wenn es kein Flughafen war, sondern ein Kunstwerk, worin die Kunst lag, denn ohne theoretischen Unterbau war für einen Laien bloß die Kunstfinanzierung verständlich. Und daß nun gerade in dieser Finanzierung die eigentliche Kunst bestand, war dem Kleinbürger nur im sprichwörtlichen Sinn einsichtig.
     
    Fauxi fuhr einen neuen Mercedes, erstens, weil er den Mercedes schlichtweg für ein perfektes Auto hielt, und zweitens, weil Daimler-Benz sein Kunstprojekt Ein Mercedes , eine Straßenbahn , mehrere Frauenstimmen und ein überholtes Pamphlet gegen den Welthunger großzügig unterstützt hatte. Sich für seinen Mercedes zu genieren, hielt Fauxi für unerregend spießig. Aber in Europa existierte ohnehin niemand mehr, der den Besitz eines Mercedes für etwas Unanständiges hielt.
    In der Flughafenhalle war die Blasmusikkapelle von Altneudörfl angetreten und spielte die Bürgermeisterpolka. Die Halle war so vollgepfercht mit Leuten – die meisten kamen aus Wien und wirkten in jeder Hinsicht transparent –, daß man sich auf einem wirklichen Flughafen glaubte (was ja der Intention eigentlich widersprach). Die Einheimischen schienen das Beste aus der ungeliebten Sache machen zu wollen; die Winzer warben für einen Tropfen, der so herb und so ehrlich und so körperlich war wie die herben, ehrlichen und sehr körperlichen Menschen dieser Region. Fette, rosige Kinder in Phantasietrachten überreichten Blumen (die aus Wien stammten, die Blumen), der Holzbildhauer von Altneudörfl stellte eine seiner Plastiken auf, etwas Biblisches (wogegen die Projektkünstler nichts hatten, da sie den Holzbildhauer wie auch seine Plastik als sozusagen architektonische Applikation verstanden), und der Bürgermeister bekniete den anwesenden Vizekanzler, den Flughafen hin und wieder als Mehrzweckhalle verwenden zu dürfen – wie gesagt, das waren nun mal einfache Leutchen, die, wenn man sie ließe, in eine goldene Fußschale aus der Tang-Zeit ihre nächtliche Notdurft verrichten und auf einem südpersischen Kelim ihre kotigen Stiefel abstellen würden, Daniel Burens Installationen mit Tapeten verwechselten und Kunstwerke mit der Aufschrift »Bitte berühren« auch wirklich berührten, andererseits aber unfähig waren, in die Interaktion einer Performance einzutreten oder das eigene jämmerliche Dasein als Ausdruck einer virtuellen Welt zu begreifen.
    Wie üblich hielt irgendein sensibler Mensch eine Rede und sah wieder einmal die Freiheit der Kunst in Gefahr (geradezu ritterlich, wie der Mann die Kunst vor ein paar rechtskonservativen Essayisten in Schutz nahm, während selbige Kunst im Würgegriff von Feinkosthändlern steckte, die jeden Befreiungsversuch als traditionell und provinziell diffamierten; wer sich der Kunstweitsicht entzog, fand sich tags darauf mit katholischer Lyrik, sozialistischem Realismus und esoterischem Kunsthandwerk in eine Zelle gesperrt). Danach formierte man sich zu einer Podiumsdiskussion, in der überaus raffinierte Formulierungen fielen.
    An diesem Nachmittag lernte Ran Markus Cheng kennen (der sich auch Markus Böhm nannte, nach seiner ersten Frau), einen Privatdetektiv, der einmal für Fauxi gearbeitet hatte, als es darum gegangen war, im Privatleben der Stammbesucher einer Galerie herumzuschnüffeln und das Herausgeschnüffelte in selbiger Galerie auszustellen, was nicht ohne Unverständnis auch unter Kunstliebhabern abgegangen war, zu diversen Prozessen, familiären Katastrophen und vielen häßlichen Szenen geführt hatte.
    Chengs Eltern waren Anfang der sechziger Jahre von Wuhan nach Europa gezogen, ohne dafür politische Gründe angeben zu können. Eine Sache, die sich natürlich niemand vorstellen konnte und mochte. Markus war in Wien zur Welt gekommen, die weiteste Reise in seinem Leben hatte ihn nach Griechenland geführt, weder
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