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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City
Autoren: Alastair Reynolds
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Sie könnten mich töten?«, höhnte Tanner.
    »Sonst wäre ich nicht hier.«
    Tanner sprang auf den Sessel zu. Ich wusste, dass er es auf Reivich abgesehen hatte. Doch Reivich kam ihm zuvor; bevor Tanner noch zwei Schritte gemacht hatte, zielte er bereits mit seiner Pistole auf ihn. »Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Was haben Sie davon, wenn Sie Ihre Differenzen ohne das nötige Publikum beilegen?«
    Mir fiel Amelia wieder ein, die irgendwo im Schatten stand, und ich fragte mich, wie das alles wohl auf sie wirken mochte.
    Tanner trat einen Schritt zurück und hob die behandschuhten Hände. Sie waren leer. »Sie möchten sicher wissen, wie ich überleben konnte«, sagte er zu mir.
    »Die Frage hatte sich mir tatsächlich gestellt.«
    »Sie hätten mich töten müssen, anstatt mich, wenn auch nur mit dem Aggregat, am Leben zu erhalten.« Er schüttelte mitleidig den Kopf. »Aber nachdem die Schlange versagt hatte, brachten Sie das nicht über sich. Deshalb befahlen Sie einem Ihrer Männer, mich umzubringen, und flüchteten aus dem Reptilienhaus, als wäre der Teufel hinter ihnen her.«
    Das war die Wahrheit, doch sie kristallisierte sich für mich erst heraus, als er sie aussprach. »Ich ging in den Süden«, sagte ich. »In ein Lager, das von abtrünnigen NK-Soldaten besetzt war. Dort gab es Ärzte. Ich wusste, dass sie fähig waren, die Arbeit der Ultras zu kaschieren, meine Gene zu tarnen und mich wie Tanner aussehen zu lassen. Ich hatte immer vor, das Reptilienhaus noch einmal aufzusuchen, bevor ich den Planeten verließ.«
    »Aber Sie bekamen keine Gelegenheit dazu«, schaltete Reivich sich ein. »Die NKs erreichten das Reptilienhaus, während Sie mit Dieterling unterwegs waren. Sie töteten die meisten Ihrer Leute, bis auf Tanner, der ihnen wider ihren Willen Respekt einflößte. Sie holten ihn ins Bewusstsein zurück.«
    »Ein schwerer Fehler«, sagte Tanner. »Obwohl ich nur einen Fuß hatte, nahm ich ihnen die Waffen ab und tötete sie alle.«
    Daran hatte ich nicht einmal eine schwache Erinnerung. Natürlich nicht – das war schließlich nach dem Trawl geschehen; nachdem ich Tanners Erinnerungen gestohlen hatte.
    »Was passierte dann?«, fragte ich.
    »Ich hatte einen Monat Zeit, um auf das Lichtschiff zu kommen, bevor es den Orbit verließ«. Tanner bückte sich und kratzte sich unter dem Mantel den Knöchel. »Ihr Vorsprung war nicht allzu groß. Sobald mein Fuß wieder heil war, folgte ich Ihnen. Ich war es übrigens, der Dieterling getötet hat – wen hätte er sonst so nahe an sich heran gelassen? Er saß im Wheeler, ich ging auf ihn zu und knallte ihn ab.« Er tat so, als wollte er den Mord pantomimisch vorführen.
    Ein klassisches Ablenkungsmanöver.
    Als Tanner sich zu voller Höhe aufrichtete, wurden seine Bewegungen rasch und fließend. Ein Messer schnellte aus seiner Hand und folgte einer genau berechneten Bahn durch den Raum. Er hatte ein sicheres Auge – sogar die durch die langsame Rotation von Refugium bedingte Corioliskraft hatte er mit berücksichtigt.
    Das Messer blieb in Reivichs Hinterkopf stecken.
    Aus dem Lebenserhaltungsgerät drang ein digitales Stöhnen; ein künstlich stabiler Ton, der auch nicht abriss, als Reivichs Kopf leblos auf seine Brust sank. Die Pistole entfiel seiner Hand und landete klappernd auf dem Boden. Ich wollte mich darauf stürzen, wohl wissend, dass dies wahrscheinlich meine einzige Chance war, mit Tanner wenigstens gleichzuziehen.
    Doch er war schneller und warf mich zu Boden. Ich schlug so heftig mit dem Rücken auf, dass mir die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Die Pistole stieß er versehentlich mit dem Fuß in das Halbdunkel zwischen dem goldenen Lichtkegel und den Schatten dahinter.
    Tanner griff nach dem Messer und zog es aus Reivichs Schädel. Auf der monomolekularen Klinge schillerten Prismenmuster in allen Regenbogenfarben wie ein Ölfilm auf einer Wasserpfütze.
    Er wird es nicht wagen, das Messer zu werfen, dachte ich. Wenn er nicht trifft, verliert er seine einzige Waffe …
    »Sie sind erledigt, Cahuella. Das ist das Ende.«
    Er hielt das Messer jetzt in einer Hand, wog es leicht auf der behandschuhten Handfläche. Mit der anderen griff er Reivich ins Gesicht und riss die Optikleitungen aus seinen Augenhöhlen. Jede Leitung zog einen dicken Faden aus gerinnendem Blut hinter sich her.
    »Für Sie war es schon vor langer Zeit zu Ende«, sagte ich und trat in seinen Angriffsbereich. Das Messer zeichnete mit chirurgischer Präzision völlig
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