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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City
Autoren: Alastair Reynolds
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aufhalten.«
    »Sie wissen also, wer ich bin?«, fragte Reivich.
    »Klar. Sie sind offenbar auf die schnelle und unangenehme Variante losgegangen. Lassen Sie mich raten. Ausgedehnte neurale, zelluläre und genetische Schäden. Die Dummköpfe hier haben Sie wahrscheinlich mit Nanomaschinen abgepuffert, aber das ist, als wollte man ein einstürzendes Gebäude mit Strohhalmen stützen. So wie die Dinge liegen, bleiben Ihnen meiner Schätzung nach noch ein paar Stunden, wahrscheinlich nicht einmal so viel. Habe ich Recht?«
    »Ins Schwarze getroffen«, sagte Reivich. »Hoffentlich tröstet Sie das ein wenig.«
    »Wofür brauche ich Trost?« Tanner strich jetzt mit den Fingern über Reivichs Kopf wie über die Erhebungen eines alten Globus.
    »Weil Sie zu spät gekommen sind, um mich zu töten.«
    »Ich könnte mich schadlos halten.«
    »Durchaus. Aber was hätten Sie davon? Sie könnten natürlich meinen Körper zerstören, aber dafür würde ich Ihnen noch mit meinem letzten Atemzug danken. Alles, was ich bin – was ich jemals wusste oder empfand –, ist bereits für alle Ewigkeit konserviert.«
    Tanner trat zurück. Sein Ton war jetzt ganz sachlich. »Der Scan war erfolgreich?«
    »Ganz und gar. Während wir uns hier unterhalten, läuft irgendwo in den weit verstreuten Prozessoren von Refugium eine Kopie von mir. Backups wurden bereits an fünf andere Habitats geschickt, deren Namen selbst mir nicht bekannt sind. Auch wenn Sie in Refugium eine Atombombe zündeten, hätte das nicht die geringste Wirkung.«
    Mir wurde klar, dass die Version von Reivich, mit der ich noch vor einer Stunde gesprochen hatte, die gescannte Kopie gewesen war. Die beiden spielten sich gegenseitig die Bälle zu wie zwei Verschwörer. Reivich hatte Recht. Tanner konnte tun, was immer er wollte, es hätte nichts zu bedeuten. Vielleicht war das Tanner sogar egal, denn immerhin hatte er mich hierher gelockt und damit sein wichtigstes Ziel erreicht.
    »Sie würden sterben«, sagte Tanner. »Und Sie wollen mir einreden, das sei Ihnen völlig egal?«
    »Glauben Sie, was Sie wollen, Tanner, wenn ich ehrlich bin, berührt mich das nicht weiter.«
    »Wer sind Sie?«, fragte Amelia. Ratlosigkeit sprach aus ihren Zügen. Ich begriff, dass Tanner ihr bis zu diesem Moment seine wahren Motive verheimlicht hatte, um sich ihr Vertrauen zu bewahren. »Warum sprechen Sie ständig vom Töten?«
    »Weil das unser Beruf ist«, sagte ich. »Wir haben Sie beide belogen. Der Unterschied ist nur, dass ich niemals vorhatte, sie umzubringen.«
    Tanner wollte nach ihr greifen. Aber er konnte sich nicht von Reivich losreißen und war deshalb nicht schnell genug. Amelia huschte flink über den Zickzack-Fußboden zu mir herüber. Verwirrung malte sich in ihren Zügen. »Erklären Sie mir doch bitte, was hier vorgeht!«
    »Keine Zeit«, sagte ich. »Sie müssen uns vertrauen. Es tut mir Leid, dass ich Sie belogen habe – aber ich war zu diesem Zeitpunkt nicht ich selbst.«
    Chanterelle schaltete sich ein. »Sie sollten ihm glauben. Er hat sein Leben riskiert, um hierher zu kommen, und das in erster Linie, um Sie zu retten.«
    »Sie sagt die Wahrheit«, bestätigte Zebra.
    Ich sah Tanner fest an. Er stand immer noch hinter Reivichs Sessel. Die drei Servomaten befanden sich in Wartestellung und schienen nicht wahrzunehmen, was um sie herum vorging.
    »Sie stehen allein, Tanner«, sagte ich. »Ich fürchte, jetzt hat Ihre Stunde geschlagen.« Ich wandte mich an die anderen. »Wir können ihn überwältigen, wenn ihr mir folgt. Ich habe seine Erinnerungen. Ich kann jede seiner Reaktionen vorhersehen.«
    Quirrenbach und Zebra stellten sich neben mich, Chanterelle postierte sich schräg dahinter, und Amelia wich noch weiter zurück.
    »Vorsichtig«, flüsterte ich. »Vielleicht hat er im Gegensatz zu uns doch eine Waffe mit nach Refugium geschmuggelt.«
    Ich trat zwei Schritte auf Reivichs Thron zu.
    Unter der Decke bewegte sich etwas. Die bisher unsichtbare zweite Hand kam zum Vorschein. Sie hielt eine kleine, edelsteinbesetzte Pistole. Reivich brachte sie erstaunlich schnell in Anschlag – seine Gebrechlichkeit war wie weggeblasen – und feuerte drei Schüsse ab. Die Projektile rasten an mir vorbei und hinterließen silberne Nachbilder auf meiner Netzhaut.
    Quirrenbach, Zebra und Chanterelle gingen zu Boden.
    »Schafft sie weg«, krächzte Reivich.
    Die drei Servomaten erwachten zum Leben, glitten mit unheimlicher Lautlosigkeit an mir vorüber, knieten nieder, hoben die
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