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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City
Autoren: Alastair Reynolds
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haben?«, fragte Reivich.
    »Dass ich Sie dafür töten würde.«
    »Aha«, sagt Reivich, und aus seinem Lebenserhaltungsmodul drang ein leises, phlegmatisches Lachen. »Jetzt sind wir fast am Ziel. Allmählich stoßen wir zum kritischen Punkt vor.«
    »Ich dachte nicht, dass Sie mich töten würden«, sagte Tanner. »Ich dachte, Sie würden mir verzeihen. Ich fand nicht einmal, dass es etwas zu verzeihen gäbe.«
    »Vielleicht kannten Sie mich doch nicht so gut, wie Sie dachten.«
    »Mag sein.«
    Reivich klopfte mit der freien Hand gegen die verschnörkelte Armlehne. Ich hörte, wie seine schwarz verfärbten Fingernägel klickend das Metall berührten. »Sie ließen ihn also ermorden«, wandte er sich an mich. »Aber auf eine Art und Weise, die ihren eigenen Zwangsvorstellungen entgegenkam.«
    »Ich weiß es wirklich nicht mehr«, sagte ich.
    Und das war fast die Wahrheit.
    In meiner Erinnerung stand ich über der offenen, weißen Grube und beobachtete Tanner, der darin gefangen war. Ich sah, wie er sich langsam seiner Lage bewusst wurde, wie er erkannte, dass er nicht allein war. Dass etwas diesen Raum mit ihm teilte.
    Reivich wandte sich an Tanner. »Erzählen Sie uns, woran Sie sich erinnern«, verlangte er.
    Tanners Stimme war so tonlos und ohne jedes Gefühl wie Reivichs künstliches Organ. »Ich wurde bei lebendigem Leibe verspeist. So etwas vergisst man nicht so schnell, glauben Sie mir.«
    Und ich erinnerte mich, dass die Hamadryade fast unmittelbar darauf an den fremden Giften eingegangen war, die jeder Mensch in sich hatte; eine tödliche Kollision zweier Metabolismen. Das Tier hatte sich in Krämpfen gewunden und sich eingerollt wie ein Feuerwehrschlauch.
    »Wir haben sie aufgeschlitzt«, sagte ich, »und Tanner aus ihrem Schlund geholt. Er atmete nicht mehr. Aber sein Herz schlug noch.«
    »In diesem Moment hätten Sie ein Ende machen können«, sagte Reivich. »Ein Stich ins Herz, und alles wäre vorüber gewesen. Aber Sie mussten ihm noch etwas rauben, nicht wahr?«
    »Ich brauchte seine Identität. Insbesondere seine Erinnerungen. So ließ ich ihn mit einem Aggregat am Leben erhalten und gab Anweisung, einen Trawl vorzubereiten.«
    »Warum?«, fragte Reivich.
    »Um Sie zu verfolgen. Ich wusste inzwischen, dass Sie den Planeten verlassen hatten und schon bald auf einem Lichtschiff nach Yellowstone reisen würden. Tanner hatte seine Strafe bekommen. Nun waren Sie an der Reihe, das war ich Gitta schuldig. Aber dazu musste ich zu Tanner werden.«
    »Sie hätten auch zu jeder anderen Person auf dem Planeten werden können.«
    »Seine Fähigkeiten kamen mir gelegen. Und er war zur Hand.« Ich hielt inne. »Es sollte keine Dauerlösung sein. Ich wollte meine eigene Identität nur so lange unterdrücken, dass ich an Bord des Lichtschiffs gelangen konnte. Danach sollten Tanners Erinnerungen allmählich verblassen. Reste davon durften erhalten bleiben – das ist auch jetzt noch so –, aber getrennt von meinen eigenen.«
    »Und Ihre anderen Geheimnisse?«
    »Meine Augen? Die musste ich verstecken, und das ging auch ganz gut. Aber jetzt sind sie in den modifizierten Zustand zurückgefallen. Vielleicht war das ja auch so vorgesehen.«
    »Sie haben Ihr Gedächtnis noch immer nicht ganz zurückgewonnen«, sagte Reivich. Sein Lächeln war Grauen erregend. »Die Augen waren nämlich nicht Ihr einziges Geheimnis. Es gab noch mehr.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    Er hob die Hand und klopfte sich mit einer seltsam ausdrucksvollen Geste gegen die Überreste seiner Zähne. »Sie wissen es vielleicht nicht mehr, aber ich hatte die Ultras bereits dazu gebracht, Sie an mich zu verraten. Danach war es nicht weiter schwer, auch in Erfahrung zu bringen, was sie sonst noch mit Ihnen angestellt hatten.« Wieder lächelte er. »Ich musste doch wissen, mit wem ich es zu tun hatte. Wozu Sie fähig waren.«
    »Und das wissen Sie jetzt?«
    »Ich halte Sie für einen Menschen, der sogar sich selbst noch überraschen könnte, Cahuella. Nur bestreiten Sie natürlich, Cahuella zu sein.«
    »Ich hasse ihn nicht weniger, als Sie es tun«, sagte ich. »Ich habe die Ereignisse aus Tanners Blickwinkel gesehen. Ich weiß, was er ihm angetan hat. Er ist nicht ich.«
    »Sie haben also Sympathien für Tanner.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Der Tanner, den ich kannte, starb in einer Schlangengrube. Dass etwas von ihm überlebte, spielt keine Rolle. Das ist nicht er, sondern nur ein Monstrum, das Cahuella geschaffen hat.«
    »Sie glauben also,
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