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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City
Autoren: Alastair Reynolds
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lautlos blitzende Bögen in die Luft.
    »Und was bedeutet das für Sie?« Tanner schob Reivich aus dem Sessel. Der magere Leichnam fiel samt seiner Decke zu Boden wie ein Sack Holz.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Jedenfalls bin ich nicht wie Sie.«
    Ich versuchte, den Winkel seiner Messerschwünge zu berechnen, indem ich mich auf die einschlägigen Tanner-Erinnerungen konzentrierte, auf seine Erfahrungen im Nahkampf.
    Es war unmöglich. Ich konnte nicht den kleinsten Vorteil herausschlagen – und er brauchte seine Erinnerungen nicht erst mühsam auszugraben. Sie waren tief verwurzelt und kamen ihm von selbst zu Hilfe.
    Ich machte einen Ausfall, in der Hoffnung, seinen freien Arm erwischen und ihn aus dem Gleichgewicht bringen zu können, bevor er zustieß.
    Ich hatte mich verschätzt.
    Den Messerstich selbst spürte ich nicht; nur eine Kälte, die durch Mark und Bein ging. Ich wagte nicht, den Blick zu senken, doch aus dem Augenwinkel sah ich den Schnitt auf meiner Brust, wo die Klinge durch die Kleidung ins Fleisch gedrungen war. Die Wunde war nicht tödlich, dafür war sie nicht tief genug – sie ging nicht einmal bis auf die Rippen –, aber das war schieres Glück. Beim nächsten Mal war ich mit Sicherheit fällig.
    »Tanner!«
    Das war nicht meine Stimme. Amelia rief aus dem Schatten. Sie stand halb im Dunkeln und streckte die Hände nach mir aus.
    Natürlich. Für sie war ich immer noch Tanner. Sie hatte keinen anderen Namen für mich.
    Sie hatte Reivichs Pistole aufgehoben.
    »Werfen Sie sie mir zu!«, rief ich.
    Sie gehorchte. Die Pistole fiel zu Boden und schlitterte ein paar Meter weiter. Kleine Edelsteinsplitter spritzten davon.
    Ich drehte Tanner den Rücken zu, stürzte mich auf die Waffe, fiel auf die Knie und rutschte weiter, bis ich sie in Reichweite hatte.
    Bevor sich meine Finger um den Griff schließen konnten, kam Tanners Messer geflogen und bohrte sich in meine Hand. Mit einem Aufschrei ließ ich die Pistole fallen. Die Messerspitze ragte aus meiner Handfläche wie das Segel einer Jacht.
    Tanner lief auf mich zu. Ich hörte seine Schritte in der dumpfen Finsternis. Tränen trübten meinen Blick. Ich hob mit der anderen Hand die Pistole auf und versuchte, auf ihn zu zielen.
    Ein Schuss löste sich, ich spürte den leichten Rückstoß, sah das Projektil als verschwommenen Fleck an Tanner vorbei rasen. Ich hatte ihn um etliche Zentimeter verfehlt. Ich zielte von Neuem, zog abermals den Abzug durch.
    Doch nichts geschah.
    Tanner warf sich gegen mich und stieß zugleich die unbrauchbar gewordene Waffe mit dem Fuß beiseite. Er rang mich nieder und kniete in Siegerpose über mir. Ich versuchte, ihm die Messerspitze in meiner Handfläche ins Gesicht zu stoßen.
    Tanner bekam das Handgelenk der durchbohrten Hand zu fassen und lächelte. Jetzt hatte er gewonnen. Er wusste es. Er brauchte nur noch die Klinge heraus zu ziehen und sie gegen mich zu richten.
    Aus dem Augenwinkel sah ich Reivichs zusammengesunkenen Leichnam. Der Mund stand offen. Die wenigen Zähne blitzten im goldenen Licht.
    Er hatte sich gegen die Zähne geklopft.
    Und plötzlich fiel mir wieder ein, was Cahuella den Ultras noch abgekauft hatte: eine Transformation, die mehr umfasste als nur die Augen; eine Jägerhilfe, von der er Tanner Mirabel nie erzählt hatte.
    Was nützt es, bei Nacht auf die Jagd zu gehen, wenn man nicht töten kann, was man fängt?
    Ich riss den Mund weit auf, weiter, als es die menschliche Anatomie eigentlich erlaubte. Dabei entdeckte ich einen Muskel, von dessen Vorhandensein ich bisher nichts geahnt hatte; einen Muskel, der hoch oben an meinem Gaumen verankert war. In meinem Kiefer knackte etwas, aber ich spürte keinen Schmerz.
    Ich legte meinen heilen Arm um Tanners Kopf und drehte sein Gesicht zu mir, während er weiter an dem Messer zerrte, mit dem er glaubte, den Sieg erringen zu können.
    Doch dann schaute er mir in den Mund, und in diesem Moment musste er es gesehen haben.
    »Sie sind tot«, sagte ich. »Ich hatte mir nämlich nicht nur das Sehvermögen einer Schlange gekauft.«
    Ich spürte, wie meine Giftdrüsen in Aktion traten und das Gift durch die mikrofeinen Gänge in meinen ausklappbaren Reißzähnen pressten.
    Dann zog ich Tanner an mich, als wollte ich meinen lange vermissten Bruder ein letztes Mal umarmen.
    Und schlug die Zähne tief in seinen Hals.

Epilog
    Lange Zeit stand ich nur da und schaute aus dem Fenster.
    Die Frau in meinem Büro dachte wohl, ich hätte sie vergessen. Ich
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