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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City
Autoren: Alastair Reynolds
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Planeten wurden zum großen Teil gelöscht oder von der Seuche zerstört. In vielen Fällen blieben nur Erinnerungen erhalten – und das menschliche Gedächtnis ist bekanntlich nicht unfehlbar.
    Die Schmelzseuche hat unsere Gesellschaft bis ins Mark getroffen.
    Sie wurde weder durch einen biologischen Erreger noch ein reines Software-Virus ausgelöst, sondern durch eine seltsame und unbeständige Mischform. Obwohl es nie gelungen ist, den Erreger zu isolieren und in Reinkultur zu züchten, dürfte er in seiner Urform bestimmten nanotechnischen Maschinen ähneln, vergleichbar den Molekular-Assemblern, wie wir selbst sie in der Medizintechnik verwenden. Dass sie extraterrestrischen Ursprungs sein muss, steht außer Zweifel. Ebenso klar ist, dass alle Mittel, mit denen wir bislang gegen die Seuche vorgegangen sind, allenfalls ihre Ausbreitung verlangsamen konnten. Oft genug haben unsere Eingriffe die Lage nur noch verschlimmert. Die Seuche stellt sich auf jeden Angriff ein und pervertiert unsere Waffen, um sie dann gegen uns zu verwenden. Es ist, als würde sie von einer verborgenen Intelligenz gesteuert. Wir wissen nicht, ob es sich um eine gezielte Attacke gegen die Menschheit handelt vielleicht – hatten wir auch nur ungeheures Pech.
    Unseren bisherigen Erfahrungen zufolge werden Sie jetzt höchstwahrscheinlich annehmen, einem Schwindel aufgesessen zu sein. Unsere Erfahrungen zeigen weiterhin, dass es den Anpassungsprozess um einen kleinen, aber statistisch signifikanten Faktor beschleunigt, wenn wir dies bestreiten.
    Dieses Dokument ist kein Schwindel.
    Die Schmelzseuche existiert tatsächlich, und ihre Auswirkungen sind viel verheerender, als Sie es sich an diesem Punkt vorstellen können. Als sie zuschlug, war unsere Gesellschaft geradezu gesättigt mit Billionen von winzigen Maschinchen. Sie waren unsere Diener, sie gehorchten uns blind und ohne zu klagen, sie spendeten Leben und formten Materie, aber wir verschwendeten kaum einen Gedanken an sie. Unermüdlich durchströmten sie unser Blut. Unaufhörlich arbeiteten sie in unseren Zellen. Als Gerinnsel in unseren Gehirnen verbanden sie uns mit einem demarchie-weiten Netzwerk und ermöglichten Entscheidungen mit minimalem Zeitaufwand. Wir reisten durch virtuelle Welten, die durch direkte Manipulation der sensorischen Mechanismen des Gehirns geschaffen wurden, oder ließen unser Bewusstsein scannen und in blitzschnelle Computersysteme übertragen. Wir verschmolzen Materie und formten sie zu Gebirgen; wir schrieben Materie-Symphonien; wir ließen die Materie nach unserer Pfeife tanzen wie gezähmtes Feuer. Nur die Synthetiker waren der Gottheit noch einen Schritt näher gekommen… und es gab Stimmen, die behaupteten, wir stünden ihnen nicht viel nach.
    Maschinen schufen aus Eis und rohem Fels die Stadtstaaten, die unsere Welt umkreisen, und kneteten innerhalb ihrer Biome die tote Materie so lange, bis sich daraus Leben entwickelte. Denkende Maschinen verwalteten die Stadtstaaten und vereinten die zehntausend um Yellowstone entstehenden Habitate zum Glitzerband. Maschinen machten Chasm City zu dem, was es war; Maschinen formten aus seiner amorphen Architektur eine Stadt von legendärer, phantasmagorischer Schönheit.
    All das ist dahin.
    Es war noch schlimmer, als Sie jetzt denken. Hätte die Seuche nur unsere Maschinen zerstört, dann hätte auch das Millionen von Menschenleben gekostet, aber das Ausmaß der Katastrophe wäre überschaubar gewesen, wir hätten uns davon erholen können. Doch die Seuche begnügte sich nicht damit, lediglich destruktiv zu wirken, sie schien geradezu künstlerische Ambitionen zu verfolgen, allerdings in einer Weise, die nur als unerhörte sadistische Perversion zu bezeichnen ist. Sie veranlasste unsere Maschinen zu einer – jedenfalls für uns – unkontrollierteren Entwicklung in Richtung auf bizarre neue Symbiosen. Unsere Gebäude verwandelten sich in alptraumhafte Schreckensvisionen, und ehe wir wussten, wie uns geschah, wurden wir von den tödlichen Transformationen mitgerissen. Die Maschinen in unseren Zellen, unserem Blut, unseren Köpfen zerrissen ihre Fesseln, verschmolzen mit uns und durchsetzten die lebende Materie. Wir wurden zu glitzernden Larvenwesen, zu einem Konglomerat aus Fleisch und Maschinen. Auch die Toten setzten ihr Wachstum fort; wenn wir sie begruben, vereinigten sie sich miteinander und mit den Gebäuden der Stadt.
    Es war eine Zeit des Grauens.
    Und sie ist noch nicht vorüber.
    Andererseits hütete sich
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