Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
Atemmaske aus Plastik auf, die sein Gesicht zur Hälfte verdeckte. Während Vasquez mit zweien dieser Männer sprach, fasste Dieterling flink in einen Topf mit kochendem Wasser, fischte etwas heraus und knabberte vorsichtig daran.
    »Das ist Tanner Mirabel, ein Freund von mir«, erklärte Vasquez dem Oberkoch. »Der Junge war früher mal ein Weißauge, ihr haltet euch also besser von ihm fern. Wir bleiben eine Weile hier. Bring uns etwas zu trinken. Pisco Sour. Mirabel, hast du Hunger?«
    »Eigentlich nicht. Und Miguel bedient sich sowieso schon selbst.«
    »Gut. Aber ich glaube, die Ratte ist nicht mehr ganz frisch, Schlange.«
    Dieterling zuckte die Achseln. »Ich habe schon viel schlechter gegessen, das kannst du mir glauben.« Er schob sich noch ein Häppchen in den Mund. »Mm. Wirklich nicht schlecht, die Ratte. Norvegicus, richtig?«
    Wir verließen hinter Vasquez die Küche und betraten einen leeren Spielsalon. Im ersten Moment glaubte ich, wir wären ganz allein. Der Raum war diskret beleuchtet und üppig mit grünem Samt ausgeschlagen. Auf strategisch verteilten Postamenten standen blubbernde Wasserpfeifen. An den Wänden hingen Gemälde in verschiedenen Brauntönen – die jedoch bei näherem Hinsehen gar nicht gemalt, sondern aus vielen sorgfältig ausgeschnittenen und verleimten Holzteilen zusammengesetzt waren.
    Einige der Hölzer hatten jenen leichten Glanz, der verriet, dass sie aus der Rinde eines Hamadryadenbaumes stammten. Alle Bilder beschäftigten sich mit einem Thema: Szenen aus dem Leben von Sky Haussmann. Die fünf Schiffe der Flottille verließen das System der Erde und traten die weite Reise durch das Weltall an. Titus Haussmann suchte nach dem großen Blackout mit der Fackel in der Hand nach seinem Sohn, der allein im Dunkeln saß. Sky besuchte seinen Vater im Schiffslazarett, bevor Titus den Verletzungen erlag, die er sich zugezogen hatte, als er die Santiago vor dem Saboteur beschützte. Besonders kunstvoll dargestellt war Sky Haussmanns ruhmreiches Verbrechen: die Aktion, mit der er dafür gesorgt hatte, dass die Santiago unsere Welt vor den anderen Schiffen der Flottille erreichte. Die Kälteschlafmodule flogen davon wie Löwenzahnschirmchen. Und das letzte der Bilder zeigte die Strafe, mit der ihm das Volk seine Untaten vergolten hatte: die Kreuzigung.
    Die hatte, wie ich mich dunkel erinnerte, nicht weit von hier stattgefunden.
    Doch der Raum war mehr als nur eine Gedenkstätte für Haussmann. Ringsum waren Nischen in die Wände eingelassen, in denen traditionelle Spielautomaten hingen, außerdem sah ich ein halbes Dutzend Tische, die im Augenblick noch nicht besetzt, aber sicher für Glücksspiele am späteren Abend reserviert waren. Irgendwo im Schatten huschten Ratten herum, sonst war nichts zu hören.
    In der Mitte zog jedoch eine halbkugelförmige Kuppel die Blicke auf sich, tief schwarz und mindestens fünf Meter breit, umringt von Polstersesseln, die auf raffinierten Teleskopsockeln drei Meter über dem Boden schwebten. Eine Armlehne jedes Sessels enthielt ein Tastenfeld zum Steuern von elektronischen Glücksspielen, die andere ein komplettes Infusionsbesteck. Nur einige der Sessel waren besetzt, aber mit so völlig reglosen Totengestalten, dass ich sie beim Eintreten gar nicht bemerkt hatte. Alle saßen in sich zusammengesunken da, mit schlaffen Gesichtszügen und geschlossenen Augen. Alle waren von diesem unbestimmbaren aristokratischen Flair umgeben: einer Aura von Reichtum und Unverwundbarkeit.
    »Was ist mit ihnen?«, fragte ich. »Habt ihr heute Morgen vergessen, sie rauszuwerfen, als ihr den Laden zugemacht habt?«
    »Nein. Die sind gewissermaßen Dauergäste, Mirabel. Sie stecken in einem Spiel, das sich über Monate hinzieht: langfristige Wetten auf den Ausgang verschiedener Bodenkämpfe. Wegen des Regens ist zur Zeit alles ruhig. Fast als fände der Krieg nun doch nicht statt. Aber du müsstest mal sehen, was hier passiert, wenn die Kacke am Dampfen ist.«
    Der Raum war mir irgendwie nicht recht geheuer. Die Szenen aus dem Leben von Sky Haussmann spielten dabei eine wesentliche Rolle, aber an ihnen lag es nicht allein.
    »Ich finde, wir sollten wieder gehen, Vasquez.«
    »Und was ist mit den Drinks?«
    Bevor ich mich zu einer Antwort durchringen konnte, trat, immer noch geräuschvoll durch seine Plastikmaske atmend, der Oberkoch ein. Er schob einen kleinen Servierwagen mit Getränken vor sich her. Ich nahm mir achselzuckend einen Pisco Sour, dann nickte ich zu den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher