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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte
Autoren: Felix Thijssen
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sagte ich. »Wenn es dir zu viel wird, fahre ich dich in einem Rutsch zu deinen Staudenkulturen zurück.«
    Sie lachte nicht darüber. »Manchmal würde ich am liebsten alles sausen lassen.«
    »Das ist der Punkt«, erwiderte Nel. »Weiterzumachen ist eine bewusste Entscheidung. Es heißt, das oder nichts. Du wirst nichts vergessen, sondern damit leben. Es kommen andere Zeiten, und zwar bessere, glaub mir.«
    Geert kam zurück, mit einer Pflanze voller hellblauer Blüten. »Für dich«, sagte er zu Nel. »Denk gelegentlich an den Gärtner und sein Baby in Deutschland. Das hier ist eine Brunfelsia calycina. Nur nicht in die grelle Sonne setzen. Aber sie braucht Licht und frische Luft. Gibt es das noch bei euch?«
    »Wir wohnen an der Linge«, erklärte Nel.
    »Ah. Dann habt ihr Glück. Im Sommer kannst du sie raussetzen, an einen geschützten Ort. Eine glückliche Welt wird uns nicht geschenkt, wir müssen sie selbst erschaffen.«
    »Das sagt er immer«, meinte Charlotte.
    Nel schaute sie an und bemerkte: »Das ist genau das, was ich meinte.«
    Geert lachte. »Das habe ich mir nicht selbst ausgedacht, es stammt von einem spanischen Gartenarchitekten. Ich glaube, er meinte damit, die Welt würde besser durch Blumen und Pflanzen und schöne Gärten.« Er grinste Charlotte an. »Komm, Naseweis, wickle sie mal in Papier ein. Dann bis bald also!« Er grüßte Nel und mich mit erhobener Hand und eilte zu einem seiner Angestellten, der mit einem kleinen Traktor einen mit Blumenerde beladenen Anhänger in das Treibhaus hineinfuhr.
    »Ich kann mir vorstellen, dass es dir hier gefällt«, sagte Nel, als Charlotte mit Papier für die Brunfelsia zurückkam. »Aber im Winter ist es vielleicht nicht so schön.«
    »Ich habe keine Angst vor dem Winter«, erwiderte Charlotte.

 

17
    Ich stand vor den offenen Terrassentüren und sah, wie der Sommer zu Ende ging. Im Westen hing eine Wolkenfront, hier war der Himmel noch blau. Es war merkwürdig still, wie immer, wenn die Natur den nahenden Regen spürt. Heleen Runing betrat den Raum und blieb neben mir stehen.
    »Wo sind Ihre Töchter?«, fragte ich.
    »Jennifer ist in Utrecht. Lily ist oben, ich habe sie gebeten, sich eine Weile fern zu halten. Nächste Woche muss sie wieder in die Schule, die Ferien sind vorbei. Ich habe es den beiden erklärt, ich hielt es für besser, und wir haben uns zu dritt geeinigt.« Sie schwieg einen Augenblick. »Ich bin nervöser, als ich dachte.«
    »Wie gesagt, Sie müssen nicht unbedingt dabei sein.«
    »Aber das möchte ich ausdrücklich.« Ihre Augen nahmen die Farbe von Flusseis an. »Ich will diese Frau mit eigenen Augen sehen. Außerdem geht es auch um Charlotte. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
    »Nein danke. Gleich vielleicht.«
    »Ich weiß nicht, ob ich gleich noch fähig sein werde, die gute Gastgeberin zu spielen.« Sie lauschte den Rufen eines Kuckucks am Waldrand nahe dem Fluss. »Es gibt ein Gewitter.«
    »Worüber haben Sie sich mit Ihren Töchtern geeinigt?«
    »Uber Charlotte. Wir möchten sie in unsere Familie aufnehmen.«
    »Und wenn sie das nicht möchte?«
    »Dann ist das ihre Entscheidung. Sie ist achtzehn Jahre alt. Aber wir bieten es ihr an.« Sie wurde unsicher. »Ich hoffe, dass sie … Ich weiß so gar nichts von ihr.«
    »An Ihrer Stelle würde ich mir keine Sorgen machen. Sie könnten eine schlechtere Tochter als Charlotte bekommen, das garantiere ich Ihnen.«
    »Sie ist Ottos Tochter.«
    »Das hilft.«
    Sie lächelte bitter. »Otto war nicht zuletzt auch ein knallharter Geschäftsmann. Wir haben alle unsere negativen Eigenschaften.«
    »Sie sind die Fachfrau, aber an Charlotte konnte ich kaum Negatives entdecken.«
    Sie wies mit einem Nicken in Richtung des Kuckucks. »Sie ist kein Kuckuckskind«, sagte sie. »Sie gehört zu uns, sie ist Lilys und Jennifers Schwester, aber wenn sie sich anders entscheidet, wird ihr ihr Erbteil ausgezahlt. Wir werden nicht mit ihr handeln, sie hat ein Recht darauf.«
    Ich hörte, dass sich hinter diesen energischen Aussagen große Unsicherheit verbarg. Sie hatten im Kreise der Familie Entscheidungen getroffen, doch sie wusste, dass Entscheidungen die Theorie waren und vermutlich einfacher zu fällen, als in der Praxis eine neue Tochter zu gewinnen, die keine Sekunde lang Teil ihrer Geschichte ausgemacht hatte und die sehr wohl ein Kuckuckskind sein konnte, mit den Narben und Komplexen einer völlig anderen Vergangenheit, eines völlig anderen Milieus.
    »Ich glaube nicht, dass Charlotte
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